Hilfe, meine Mutter will meine Facebook-Freundin sein!

Wenn sich Eltern und Kinder freiwillig oder unfreiwillig im Internet begegnen – Familien und ihr Alltag zwischen Mittagessen und Message
hhmtomcity: Gehst du gleich zum Quäken?
Nougatmaus: ja #chor
hhmtomcity: Lalalalalaaaa *lol*
Nougatmaus: ich weiß, warum duuuu nicht im Chor warst xD
Was sich für Außenstehende vielleicht etwas merkwürdig anhören dürfte, ist ein ganz normaler Dialog zwischen Mutter und Tochter – mit dem Unterschied, dass er nicht am Küchentisch stattfindet, sondern im Internet! In diesem Fall auf Twitter.com, einem von zig „Social Networks“, in denen sich heute schon bis zu 30 Millionen Deutsche austauschen.
„hhmtomcity“ heißt im wirklichen Leben Haike und „Nougatmaus“ ist eigentlich Vénice. Auf Twitter folgen sie sich gegenseitig, das bedeutet, sie können lesen, was die andere jeweils über ihr Profil der mehr oder weniger interessierten Weltöffentlichkeit mitzuteilen hat. Meistens richten sie ihre Nachrichten aber direkt aneinander. Haike gibt ihrer Tochter von der Arbeit oder dem Obergeschoss aus Backtipps („Rühr mal den Pudding um“) oder regt an, dass die 13-jährige Vénice mal wieder ihr Zimmer aufräumen könne, woraufhin diese entgegnet: „Ich find es ist ordentlich genug. Will nicht wissen, wie es bei dir früher aussah #Hukichhabegesprochen.“
Drei Twitter-Generationen unter einem Dach
Inzwischen leben sogar drei Twitter-Generationen unter einem Dach der Ulmer Familie. Ende 2009 ist auch Userin „Haioma“ dazugestoßen, die 67-jährige Großmutter von Vénice und Mutter von Haike – und solidarisiert sich via Twitter immer öfter mit ihrer Enkelin. „Da geht’s schonmal auch gemeinsam gegen mich“, berichtet Haike schmunzelnd. „Wenn ich schimpfe, glättet sie die Wogen mit 140 einfühlsamen Zeichen.“
Tochter Vénice sei per Social Network oft am einfachsten und schnellsten erreichbar – und günstig. Denn im Gegensatz zum Festpreis der Internet-Flatrate kosten Anrufe oder SMS einzeln.
Manchmal mischen sich auch Außenstehende in die familiären Angelegenheiten ein. „Dinge, die nicht in die Öffentlichkeit gehören, klären wir natürlich persönlich – oder per Mail“, sagt Haike.
„How to stalk your kids on facebook“
Was sich wie ein skurriler Einzelfall anhört, wird sich in Zukunft häufen. Die Generation, die in den 80ern und 90ern mit dem Computer aufwuchs, hat inzwischen selber Familien gegründet und Nachwuchs, der langsam ins online-fähige Alter kommt. Oder anders formuliert: Die (Internet-)Revolution frisst ihre Kinder nicht, sondern fügt sie als Freunde oder Follower hinzu.
Doch nicht immer sind die damit auch einverstanden. Dass es so harmonisch wie bei „hhmtomcity“, „Nougatmaus“ und „Haioma“ abläuft, ist keineswegs selbstverständlich. Im Gegenteil: In den USA ist das Ausspionieren der eigenen Kinder fast zum Volkssport geworden. Unter Überschriften wie „How to stalk your kids on facebook“ stehen im Internet nicht immer nur scherzhaft gemeinte Anleitungen zur Indiskretion bereit.
Auch die Münchner Lektorin Stefanie Schmidt, die ihren realen Namen nicht in der Zeitung lesen will, schnüffelt ihrer 14-jährigen Tochter seit einem halben Jahr auf Facebook und Twitter hinterher. „Am Anfang hatte ich schon ein schlechtes Gewissen. Andererseits: Warum sollte ich nicht lesen dürfen, was ohnehin die halbe Welt mitbekommt?!“, sagt sie. „Auf Twitter kann ich das sogar ohne Account.“
Bei Facebook ist die Sache komplizierter. Schmidt erstellte sich ein „Fake-Konto“, entwarf eine fiktive Person im Alter ihrer Freundin, die ebenfalls auf Justin Timberlake und Vampirromane steht. „Die Freundschaftanfrage hat sie sofort angenommen.“
Chatten oder Nachrichten schreiben will die Mutter nicht. „Da wäre für mich eine Grenze überschritten. Aber ich schaue schon regelmäßig nach, wo sie steckt und wer der Junge ist, mit dem sie neuerdings auf so vielen Bildern zu sehen ist. Vielleicht bin ich ein schlechter oder zu neugieriger Mensch. Aber ich mache mir einfach Sorgen.“
In den USA kursiere derzeit sogar der Vorschlag, seine Mutter zum Muttertag auf Facebook einzuladen, berichtet Michael Praetorius, 30-jähriger Münchner Online-Unternehmer, der sich in seiner Web-TV-Sendung „Isarrunde“ (Isarunde.de) häufiger der Privatsphäre-Problematik in Social Networks widmet. „Ich glaube, meine Mutter würde sich gar nicht dafür interessieren, was ich da den ganzen Tag poste“, sagt er. „Abgesehen davon wär’s gewöhnungsbedürftig, wenn wir dort plötzlich als ,Freunde’ firmieren. Ich möchte, dass meine Mutter einfach nur meine Mama bleibt.“
Timo Lokoschat