Helmut Dietl: In Berlin-Mitte mit Kir-Royal-Augen
Böse Satire auf die Hauptstadt: Der Kult-Regisseur aus München spricht erstmals über seinen neuen Kino-Film
Er schlendert allein im Mondschein nach Hause. Monaco-Helmut, eine der letzten Stützen des Schwabinger Schmelzes, ist in seinem schneeweißen Outfit nicht zu übersehen. Der Kreateur des weißblauen Bussi-Bussi-Kartells „Kir Royal“, Helmut Dietl, biegt in die Münchner Ainmillerstraße ein, als ich ihm zufällig begegne.
Sein Antlitz ist braungebrannt, sein silbriger Vollbart à la Hemingway hebt sich kontrastvoll vom dunklen Haupthaar ab. Der Blick wirkt mild. Er sieht geradezu erholt aus. Unterm Arm hat der Star-Regisseur einen Packen Sonntagszeitungen eingeklemmt und hält einen großen Schlüsselbund in der Hand. Helmut trägt einen weißen, knitterfreundlichen Leinenanzug, der seinen schlanken Körper umflattert wie eine Fahne den Mast. Unter dem Anzug schaut ein weißes T-Shirt hervor. Helmut ist also wieder in seine weiße Periode zurückgekehrt, die er vor vielen Jahren abgelegt hat. Zurück zur Unschuld. Dazu passt: Dietl trinkt nicht mehr, Dietl raucht nicht mehr. In guten Zeiten kam er am Tag auf hundert Gauloises.
Fünf Millionen muss er noch auftreiben
Der Parade-Schwabinger schnuppert gerade mal wieder für zwei Wochen Münchner Luft, nachdem er seit drei Jahren intensive Fallstudien in Berlin betreibt und in einem luxuriösen Penthouse in Berlin-Mitte logiert. „Berlin-Mitte“ ist auch der Arbeitstitel für sein neues Kinoprojekt. Erstmals spricht er über den Film.
Er rührt schon ziemlich lang an diesem Süppchen, liegt aber noch in der Zeit. Helmut benötigt für seine Leinwand-Produktionen immer fünf Jahre. Sein bewährter Mitstreiter Patrick Süskind ist diesmal nicht mit dabei. Dafür konnte er die andere Edelfeder, Benjamin Stuckrad-Barre, gewinnen. Das Drehbuch ist fertig, die Figuren stehen fest, nur die Finanzierung bereitet dem Regisseur noch Kopfzerbrechen. 14,5 Millionen Euro kostet der Streifen, fünf Millionen muss er noch auftreiben.
Der Film „Berlin-Mitte“ wird nach Dietls Aussagen eine besonders böse Satire über die deutsche Hauptstadt. „Du kannst Dir nicht vorstellen, was für durchgeknallte Existenzen dort leben. Nirgends gibt es so viele Glücksritter auf einem Quadratmeter wie in Berlin. Freundschaft, Vertrauen, Ehrlichkeit suche ich vergeblich in der Stadt,“ meint er. Obwohl ZDF und auch ARD als Co-Produzenten abgewinkt haben, lässt Dietl sich nicht beirren. Allerdings: „Wenn ich den Film nicht so machen kann, wie ich ihn mir vorstelle, dann verwirkliche ich ihn lieber nicht.“
Bully Herbig spielt den Zeitungs-Hai
Als roter Faden der kritischen Gesellschaftsgeschichte dient wieder Society-Reporter Baby Schimmerlos à la „Kir Royal“. Mit Franz Xaver Kroetz ist er bei der Gage allerdings noch nicht handelseinig. In „Berlin-Mitte“ soll der Dramaturg und Regisseur Kroetz, der in der Kult-Serie „Kir Royal“ erstmals vor der Kamera stand, wieder den Reporter mimen. Laut Story bekommt er von einem Schweizer Verleger, der ihn nach Berlin holt, die große Chance bei einem neuen Blatt, das sich aber als lausige Porno-Postille entpuppt. Er scheitert zudem an seinem neuen Konkurrenten, der als Chauffeur anfängt, sich als Paparazzo hoch arbeitet und ihn schließlich platt macht. Diesen Zeitungs-Hai spielt Bully Herbig. Auch Senta Berger wirkt erneut mit und macht als Volksmusik-Star Karriere.
Der traditionellen Apfelernte in seinem paradiesisch gelegenen Besitz in Eichenried, bei München, bei der Helmut eigentlich angesagt war, entzog er sich in diesem Jahr elegant mit dem Argument „Schreiben“. Er verschenkte goldene Dietl-Worte an Produzent Günter Rohrbach zu dessen 80. Geburtstag (AZ berichtete). Ehefrau Tamara übernahm allein das Obstverteilen und beglückte ein Dutzend Freunde, die nach Kaffee und Kuchen mit Taschen und Kisten voller rotbackiger Äpfel abfuhren.
Knurr Royal und die Hundepension
Noch ein bisschen ganz privater Talk im Stehen auf der nächtlichen Straße, dann empfiehlt sich Helmut in das Schwabinger Mietshaus, das ein kleines „Kir Royal“ für sich ist mit Wohnung und Büro auf unterschiedlichen Etagen. Ganz unter dem Dach lebt der Auflagen-Millionär Patrick Süskind („Das Parfüm“), der ein patentierter Hausmann geworden ist. Seine Lebensgefährtin, Ex-Lektorin Tanja Graf, hat als Verlegerin Karriere gemacht und ihm den gemeinsamen Sohn Jakob ans Herz gelegt. Ihr steht in dem Gebäude aber auch eine rückzugsfreundliche Wohnung zur Verfügung.
Die meiste Zeit war Dietls vierte Ehefrau Tamara mit Helmut in Berlin. Das wird sich nächstes Jahr wohl ändern, wenn die gemeinsame Tochter Serafina in München eingeschult wird. Coco, der champagnerfarbene Retriever, kann sich dann freuen, da er in Abwesenheit von Herrchen und Frauchen - Knurr Royal - immer in einer Hundepension darben muss und Dietl kommt in den Genuss der neuen alten Situation, auch mal wieder allein über den Sinn des Lebens nachdenken zu können.
Michael Graeter
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