Held oder Verräter? Prozess gegen Manning beginnt
Anhörung über Kriegsgerichtsverfahren gegen mutmaßlichen Wikileaks-Informanten – US-Soldaten Bradley Manning könnte lebenslange Haft drohen.
Fort Meade/USA- Das angebliche Bekenntnis des US-Gefreiten
Bradley Manning zur Weitergabe von Geheimunterlagen an Wikileaks
enthält eine Begründung, die ihn für Informationsfreiheits- und
Friedensaktivisten weltweit zum Helden gemacht hat: „Ich will, dass
die Leute die Wahrheit sehen.“ Doch er war sich offenbar auch
bewusst, dass er, sollte er mit der Enthüllungsplattform in
Verbindung gebracht werden, als Verräter dastehen würde „wie Nidal
Hassan“ – der US-Major, der 13 Kameraden im Aufbruch zu einem
Kriegseinsatz tötete. Eine (am heutigen Freitagnachmittag
beginnende) militärische Anhörung entscheidet darüber, ob Manning
vor ein Kriegsgericht gestellt wird und möglicherweise mit
lebenslanger Haft rechnen muss.
Die Todesstrafe indes, die Höchststrafe für den schwerwiegendsten
Anklagepunkt der Feindbegünstigung, wollen die Militärankläger nicht
fordern. Die Anhörung in der streng gesicherten Militäreinrichtung
Fort Meade im Bundesstaat Maryland, zwischen der Hauptstadt
Washington und Baltimore gelegen, kann Tage dauern. Grundlage der
insgesamt 22 Anklagepunkte sind Abschriften von Online-Chats, die
Manning im Mai 2010 mit dem Hacker – und V-Mann – Adrian Lamo
geführt haben soll. Darin spiegeln sich schon die unterschiedlichen
Sichtweisen der Öffentlichkeit auf den 23-Jährigen wider: Ist er nun
ein Idealist, der zurecht Fehlverhalten aufgedeckt hat? Oder ein
Soldat, der sein Land und seine Kameraden verraten hat.
Die von den Streitkräften als authentisch bezeichneten Chat Logs
waren zuerst vom Technologiemagazin Wired.com veröffentlicht worden,
das sie von Lemo erhalten hatte. Ein Schreiber mit dem Alias
„bradass87“ legt darin mehr als nur seine Gründe dafür offen,
vertrauliche Unterlagen an Wikileaks zu geben. Er äußert sich
geringschätzig über die IT-Sicherheit auf seinem Posten in Bagdad,
spricht über die schmerzliche Trennung von seinem Freund in Boston
und seine Schwierigkeiten, als „superintelligenter, linkisch
weibischer“ Schwuler mit seiner konservativen Erziehung, seiner
kaputten Familie und dem Militärdienst zu einer Zeit
zurechtzukommen, als für Homosexuelle noch galt: „Nicht fragen,
nichts sagen.“
Beweise für emotionale Belastung angekündigt
„Ich bin im Eimer“, vertraute „bradass87“ Lamo an. „Ich bin in
der Wüste, mit einem Haufen hypermännlicher schießwütiger
Hinterwäldler als Nachbarn. Und der einzige sichere Ort, den ich
anscheinend habe, ist diese Satelliten-Internetverbindung.“ Mannings
Verteidiger David Coombs will Beweise für die mentale und emotionale
Belastung seines Mandanten vorlegen, um das Versagen der
militärischen Führungsstruktur herauszustellen. Die Ankläger finden
das dagegen für die Ermittlungen irrelevant.
Manning soll unter anderem hunderttausende Diplomatenberichte,
Kriegsberichte aus dem Irak und Afghanistan und ein Video von 2007
weitergegeben haben, auf dem sich eine US-Hubschrauberbesatzung über
das Niederschießen von elf Menschen amüsiert – darunter ein
Reuters-Pressefotograf und sein Fahrer. Das Pentagon sah kein
Fehlverhalten dieser Soldaten, da sie die Kameraausrüstung für
Waffen gehalten hätten.
Gefährdung von Menschenleben vorgeworfen
Aus Sicht der US-Regierung wurden mit den Veröffentlichungen
Menschenleben und die Sicherheit gefährdet. Coombs argumentiert, das
Material habe die nationale Sicherheit nicht beeinträchtigt und den
Interessen der USA im Ausland kaum geschadet.
Für Mannings Anhänger haben die Veröffentlichungen
Kriegsverbrechen enthüllt und die Demokratiebewegung im arabischen
Raum angestoßen. Manning sei „vorbehaltlos ein Held“ findet Daniel
Ellsberg, der vor 40 Jahren mit der Veröffentlichung der
Pentagon-Papiere die insgeheime Ausweitung des Vietnamkriegs
aufdeckte. „Ich glaube, dass Bradley Manning – sollte sich
herausstellen, dass er die Quelle ist – unseren Dank und unsere
Bewunderung verdient.“
Andere werfen dem Beschuldigten vor, seine Kameraden verkauft zu
haben, und fordern seine Bestrafung als Verräter. Der
republikanische Abgeordnete Mike Rogers bezeichnete im August
vorigen Jahres gar die Todesstrafe als angemessen für diesen
Hochverrat. In einer maßvolleren Stellungnahme für die
Nachrichtenagentur AP vorige Woche erklärte Rogers, er vertraue dem
Militärjustizverfahren. Dennoch: „Geheime Informationen
weiterzugeben und die nationale Sicherheit der USA zu gefährden, ist
immer ein äußerst schwerwiegendes Vergehen. Die Auswirkungen der
Veröffentlichung geheimen Materials können für unsere Männer und
Frauen an der Front tödlich sein.“
Zunächst in Einzelhaft
Nach seiner Verhaftung im Mai 2010 saß Manning zunächst in einem
Militärgefängnis der Marines in Quantico in Einzelhaft und wurde
nach internationaler Kritik an den Haftbedingungen im April nach
Fort Leavenworth in Kansas verlegt. Anhänger weltweit haben nach
Angaben von Jeff Paterson vom Unterstützer-Netzwerk bereits rund
400.000 Dollar gespendet, um seine Verteidigung, eine eventuelle
Berufung und Unterstützungsaktionen zu finanzieren. Bei aller Kritik
an Wikileaks halten viele internationale Beobachter Manning zugute,
dass er aus Gewissensnot handelte.
Lamo, dessen Ruf als früherer regierungskritischer Hacker Manning
möglicherweise zur Kontaktaufnahme veranlasste, bereut nicht, ihn
der Strafverfolgung ausgeliefert zu haben: Sein Handeln habe Manning
womöglich daran gehindert, noch mehr Geheimes preiszugeben. In den
Chat-Abschriften äußert „bradass87“ die Hoffnung, dass seine
Veröffentlichungen „weltweite Diskussionen, Debatten und Reformen“
anstoßen mögen. Er wisse nicht, ob die Menschen ihn als „Hacker“, „,
“Hacktivist„ oder sonst etwas betrachten würden: “Ich bin bloß ich,
wirklich.„ Lamos Andeutung, er könnte als Spion gelten, wies er
zurück: “Spione stellen nichts ins Netz, damit es die ganze Welt
sehen kann.„
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