"Heiliger Krieg gegen Schweden": Anschlag in Stockholm

Schweden entgeht knapp einer Katastrophe: Ein junger Iraker verübt einen Anschlag mitten im größten Weihnachtstrubel. Nur seine technische Unbegabtheit hat Schlimmeres verhindert.
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STOCKHOLM - Schweden entgeht knapp einer Katastrophe: Ein junger Iraker verübt einen Anschlag mitten im größten Weihnachtstrubel. Nur seine technische Unbegabtheit hat Schlimmeres verhindert.

Der Attentäter hätte Zeitpunkt und Ort nicht perfider wählen können: Samstagnachmittag, absolute Stoßzeit beim Geschenke-Shopping, Tausende dicht an dicht in der Fußgängerzone. Da zündet der junge Mann mitten in der Menge die Rohrbomben um seinen Bauch. Die schwedische Hauptstadt Stockholm ist nur sehr knapp einem Blutbad entkommen – weil die Bomben nicht richtig gezündet haben. Wären alle Sprengsätze detoniert, hätten sie verheerende Schäden angerichtet – auch, weil der Mann seinen Rucksack mit Nägeln gefüllt hatte. Wie durch ein Wunder wurden nur zwei Passanten leicht verletzt, der Attentäter starb. „Das hätte wahrlich katastrophal ausgehen können“, sagt Schwedens Außenminister Carl Bildt. Der Anschlag hat das Land erschüttert – dass im beschaulichen, liberalen Schweden ein islamistischer Terror-Akt verübt wird, hatten viele nicht für möglich gehalten.

Zuerst explodiert ein Auto, direkt an der belebten Einkaufsstraße Drottningsgatan. Wenig später, 200 Meter entfernt in der Bryggergatan, gibt es eine zweite Detonation: Der Attentäter hatte die Rohrbomben an seinem Körper gezündet. „Er sah aus, als trug er etwas, was dann direkt vor seinem Bauch explodiert“, sagt der Augenzeuge Pascal. „Ich habe versucht, ihm erste Hilfe zu leisten. Er hatte eine riesige Bauchwunde. Aber es war zu spät.“ Die Menschenmenge schreit auf, flüchtet in wilder Panik in alle Richtungen. Gabriel Gabiro, der gerade in einem Laden einkauft: „Man hat die Detonation sogar noch in dem Geschäft gespürt.“ Einige Kunden hätten zu weinen angefangen, vermutlich unter Schock.

Nur vorsichtig nähern sich Polizisten der Leiche. Aus Angst vor weiteren Bomben untersuchen Techniker den Körper mit Hilfe von Robotern. Sie finden sechs Rohrbomben. „Aus irgendeinem Grund wurden die Kabel zwischen den Ladungen zerrissen, so dass nur eine explodiert ist“, heißt es.

Die Identität des Attentäters ist nicht restlos klar. Die Polizei will dazu nichts sagen, noch seien nicht alle Angehörigen verständigt. Nach schwedischen Medienberichten handelt es sich um einen 28-jährigen Iraker, der in Tranas in Smaland gelebt hat. Kurz vor der Tat ging bei der Nachrichtenagentur TT eine Bekennermail ein, die ihm zugeschrieben wird, inklusive einer – auf Schwedisch und Arabisch – gesprochenen Nachricht. Er beklagt sich über den schwedischen Karikaturisten Lars Vilk, der Mohammed als Hund gemalt hat. „Unsere Taten werden für sich sprechen, solange ihr euren Krieg gegen den Islam nicht beendet und eure dumme Unterstützung für das Schwein Vilk.“ Als zweiten Grund nennt er, dass Schweden Soldaten in Afghanistan hat: „Jetzt werden eure Kinder, Töchter und Schwestern genauso sterben wie unsere Brüder, Töchter und Schwestern.“ Der 28-Jährige war sehr aktiv in Internet-Netzwerken, hatte dort immer wieder gegen die Kriege im Irak und in Afghanistan geschrieben.

Irgendwann hat er sich dann offenbar radikalisiert. In der Ton-Aufnahme berichtet er, wie er sich bei einem Aufenthalt im Nahen Osten für den Dschihad habe ausbilden lassen. Er bittet seine Ehefrau um Verzeihung, dass er sie wegen den Reisegründen angelogen hat. Und: „Küsse unsere Kinder für mich. Sag ihnen, Papa liebt sie.“

Die schwedischen Behörden sprachen am Sonntag von einem „sehr ernsten Terroranschlag“. Sie gehen aber davon aus, dass der 28-Jährige ein Einzeltäter ist, der Anschlag also kein Werk einer Gruppe wie El-Kaida ist. Dafür spräche unter anderem das Tonband, das er vorab geschickt hat. Es gäbe auch keinerlei Hinweise auf Komplizen, so Anders Thornberg, Sprecher der Sicherheitspolizei Säpo. „Wir werden deswegen die Einstufung beim Terroralarm nicht ändern.“ Nach dem Motto: Jetzt sei er ja tot.

Der Schock sitzt tief im vorweihnachtlichen Schweden. „Ich hätte nie gedacht, dass so etwas in Stockholm oder überhaupt in Schweden passieren kann“, sagt Staatsanwalt Thomas Lindstrand etwas fassungslos. Nicht mal zwei Kilometer entfernt fand kurz nach dem Anschlag der traditionelle Ball der Königsfamilie für die Nobelpreisträger statt, heute wird Lichtfest gefeiert – eigentlich die festlichste und besinnlichste Zeit des Jahres. Die will man sich nicht kaputtmachen lassen. Ministerpräsident Fredrik Reinfeldt gestern: „Wir werden uns von unserem Eintreten für eine offene Gesellschaft nicht abhalten lassen.“

tan

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