Halloween und die Angst: Darum fürchten wir uns

Sie kann lähmen und krank machen: Es gibt hunderte Gründe, warum sich Menschen fürchten – auch an Halloween. Ein Münchner Verein hilft Betroffenen, mit ihren Problemen umzugehen.
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Schreien - sich fürchten: Die Angst in uns
imago Schreien - sich fürchten: Die Angst in uns

Sie kann lähmen und krank machen: Es gibt hunderte Gründe, warum sich Menschen fürchten – auch an Halloween. Ein Münchner Verein hilft Betroffenen, mit ihren Problemen umzugehen.

MÜNCHEN Zwei Nächte noch, dann erreicht das Fratzenfieber seinen Siedepunkt, fordern Mini-Monster „Süßes oder Saures“.

Bei Ella Teubner (Name geändert, die Red.) klingeln sie vergeblich. Die BWL-Studentin verriegelt sich in ihrer Wohnung, macht die Lampen aus, schluckt eine Schlaftablette und geht mit dem iPod ins Bett. Die 22-Jährige ist Samhaino-Phobikerin (Samhain ist der keltische Name für Halloween) und bekommt Herzrasen, wenn sie eine weiße Maske sieht, wie Serienkiller Michael Myers sie in den Halloween-Filmen trägt.

„Ich versteh's ja selbst nicht", so die Münchnerin, die anonym bleiben will. „Ich habe auch gern Kürbis-Partys gefeiert." Bis vor zwei Jahren. Ihr damaliger Freund brachte Carpenters Kino-Klassiker „Halloween“ mit. „Als der Masken-Typ auftauchte, fing ich an zu zittern, wollte raus. Aber ich war wie gelähmt.“ Bis heute sind nur die Eltern und ihre beste Freundin eingeweiht. „Ich geniere mich, darüber zu reden. Als halbwegs intelligente Frau müsste ich kapieren, dass das Ganze eine Schau, ein Spiel ist. Aber ich komme da mental nicht raus."

Angstforscher wie der international renommierte Göttinger Professor Borwin Bandelow verstehen das: „Phobische Ängste sind unrealistisch oder übertrieben und folgen nicht den Gesetzen der Logik.“ Außerdem sei unser Angstsystem entwicklungstechnisch so primitiv und alt, dass es sich leicht täuschen lasse.

Laut Studien hat fast jeder zehnte Deutsche eine Phobie. Und jeder Vierte hat schon einmal an krankhaften Ängsten gelitten. Besonders häufig sind Agoraphobie (Platzangst), Panik-Attacken (Angst, weitere Anfälle zu kriegen) und soziale Phobie (Angst vor Ablehnung und Erwartungen anderer). „Mit den dreien hat es auch bei mir angefangen", sagt Gerhard Schick. Damals war er Anfang 30. Heute ist er 60 und leitet die Münchner Angst-Selbsthilfe MASH. „In den 80ern wurden psychische Störungen stigmatisiert. Keiner wusste was eine Angst-Störung ist", erinnert sich Schick. Er beruhigte sich mit Tabletten und Alkohol, brach sein Studium ab, traute sich höchstens nachts aus der Wohnung. In seiner Verzweiflung gab er eine Annonce auf, suchte Leidensgenossen – der Anfang von MASH. Seit 1989 hat sein Verein 20000 Betroffenen geholfen.

Schick, dessen Konzept als Muster-Modell im deutschsprachigen Raum gilt, lebt es vor: „Ich habe noch Angst-Reste, aber ich komme damit klar. Wenn mir mal in der Öffentlichkeit die Stimme weg bleibt, schäme ich mich nicht.“ Wichtig sei es, zu verinnerlichen, dass niemand perfekt ist. „Dann nimmt man das Ganze gelassener, kann auch über sich lachen."

Weltweit gibt es 650 Aversionen – von der Arachnophobie/Spinnenangst über die Podophobie (die Füße-Hasser haben bei StudiVz 35000 Mitglieder) bis zur Zoophobie/Tierangst. „Nicht die Phobien, aber die Angst-Attacken nehmen zu", sagt Gerhard Schick. „Gerade in einer Single-Stadt wie München. Die Leute vereinsamen – und machen ihre Ängste an etwas fest. Das kann dann auch mal Halloween sein." Krankhaft sei diese saisonale Abneigung nicht. „Wenn aber eine Schlangen-Phobikerin sich nicht mehr raus wagt, weil ihr vor den stilisierten Schlangen auf den Apotheken-Schildern graut, muss sie dringend eine Therapie machen. Sonst beginnt die Abwärts-Spirale."

Die Ursachenforschung, so Schick, ist oft schwierig: „Ängste können sich über Jahre entwickeln, am Umfeld liegen, traumatisch oder genetisch bedingt sein.“

„Wo die Angst ist, ist der Weg“, heißt ein Sprichwort. Andererseits gehört die Welt angeblich den Mutigen. Bremse oder Triebfeder – was ist die Angst? „In unserer Kultur gilt es als wünschenswert, extrovertiert und risikofreudig zu sein", sagt US-Entwicklungspsychologe Jerome Kagan im „Spiegel“. „Ängstliche Menschen sind aber in Bereichen wie Forschung und Kunst außerordentlich erfolgreich." Angst, so Gerhard Schick, „ist auch eine Aufforderung, sich um sich zu kümmern, sich zu hinterfragen“.

Das will Ella Teubner tun: „Nächste Woche schaue ich mir den Carpenter-Film mit meiner Freundin und einer Therapeutin an“, sagt sie zur AZ. „Ich möchte herausfinden, warum ich Angst vor der weißen Maske habe oder zumindest, wie ich damit leben kann." Renate Schramm

MASH, Angsthilfe: Bayerstr. 77a Rgb., Tel. 51 55 530, www.panik-attacken.de

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