Grauer Rauch über Rom: Das Konklave 2005
Zwischen höllischer Panik und himmlischer Euphorie: AZ-Redakteur Stephan Kabosch berichtete im April 2005 für N24 und die Netzeitung aus Rom. Hier erinnert er sich an das Konklave.
Rom, München - Es gibt diese eine, diese kaum beherrschbare Sorge, die alle Vaticanisti umtreibt. Sie begleitet jeden Journalisten, sobald er sich mehr als 100 Meter vom Zentrum der katholischen Christenheit entfernt: Ich könnte nicht da sein, wenn es passiert. Es, das ist der Tod eines Papstes oder die Wahl eines neuen Kirchenoberhaupts.
Das also war meine große Befürchtung, als mich der Sender N24 und die Netzeitung im April 2005 nach Rom schickten, um über die Papstwahl zu berichten. Ich brauchte einen strategisch günstig gelegenen Stützpunkt: die Engelsburg. Sie ermöglicht den direkten Blick die Via della Conciliazione hinunter zum Petersdom.
Ich steige auf eines der gut 15 Meter hohen Gerüste, die die TV-Sender hier aufgebaut haben. Es herrscht Länderspielstimmung, die Kollegen aus Polen, Brasilien und Italien haben ihre Nationalflaggen an den Metallstreben des Gerüsts angebracht. Wir stehen auf kleinen Behelfstribünen in luftiger Höhe. Der ideale Platz für Reporter-Schalten und Experten-Interviews – die imposante Kuppel des Petersdoms stets im Hintergrund.
Niemand weiß, wie lange es dauert, bis es „Habemus Papam“ („Wir haben einen Papst“) heißt. Die Zeit muss überbrückt werden. Ich begleite deutsche Pilgergruppen durch Rom, frage Devotionalienhändler nach Ladenhütern und Bestsellern, schreibe eine Reportage über Radio Vatican, die Stimme des Papstes, interviewe einen Arzt des Roten Kreuzes, das sich auf einen Riesen-Ansturm von Gläubigen vorbereitet, spreche mit den Vatikan-Korrespondenten der italienischen Zeitungen. Immer wieder fällt dabei der Name Ratzinger. Immer wieder auch ist die Vermutung zu hören, dass die Kardinäle, die seit Montagvormittag in der Sixtinischen Kapelle zum Konklave versammelt sind, rasch zu einer Entscheidung kommen.
Die Welt blickt auf ein Ofenrohr
Daher bleibt sie allgegenwärtig, die Sorge, nicht rechtzeitig da zu sein. Und so eile ich am Montagabend zum Petersplatz. Rechts, ganz klein neben dem riesigen Dom, ist das Dach der Sixtinischen Kapelle zu sehen. Darauf ragt seit dem Wochenende jenes Ofenrohr in den Himmel, das sonst in einer Kammer des Vatikans lagert - und auf das jetzt die Augen der Welt gerichtet sind. Der Platz füllt sich. Für die zahlreichen Videowände zoomt das Vatikanische Fernsehen das kleine Rohr so nahe wie möglich heran. Es ist die erste Papst-Wahl im modernen Medienzeitalter.
Und dann steigt Rauch auf. Schwarz, eindeutig schwarz ist er in diesen ersten Momenten. Doch plötzlich wird er heller. Die Menschen halten den Atem an, die ersten rufen „Il Papa, il papa“, brüllen hektisch in ihr Telefonino. Aber der Rauch wird eben nur ein bisschen heller, er wird nicht weiß. Grauer Rauch über Rom - also noch kein neuer Papst.
Dienstag, der zweite Tag des Konklaves. Er beginnt sonnig, aber es ist kühl an diesem 19. April 2005. Ich nutze die Zeit, um die Reportage über die deutsche Pilgergruppe zu schreiben, sitze in der Nähe des Kolosseums. Dann kommt der Anruf aus der Redaktion in Berlin. „Die Deutsche Bischofskonferenz lädt schon jetzt für den Zeitpunkt nach erfolgter Papstwahl zu einer Pressekonferenz in den Deutschen Friedhof im Vatikan“; liest die Assistentin aus einem Fax vor. Und sie fragt: „Ist das wichtig?“
Und dann läuten die Glocken
Jetzt erfasst mich Panik. Ich muss so schnell wie möglich mit der U-Bahn in Richtung Petersdom gelangen. Auf den Aufgängen an der Station „Ottaviano“ gibt es fast kein Durchkommen. Und auch oben hat diese für das laute Rom so untypische, fast überirdisch ruhige Stimmung der letzten Tage plötzlich umgeschlagen. Gehupe, Gejohle, Gedränge. Wir rennen den Kilometer zum Petersplatz, andere fahren mit ihren Motorrollern einfach über die Bürgersteige.
Es ist 17:50 Uhr. Überall in der Stadt läuten Glocken. Und über der Sixtina weht weißer Rauch. Eindeutig. Der Himmel ist nun bewölkt, es wird noch kühler. Gut 60.000 Menschen stehen jetzt auf dem Petersplatz. Ich habe mich vorgekämpft, bin über das Handy mit der Redaktion verbunden, schildere die Eindrücke, führe kurze Interviews.
Um 18:41 Uhr dann der Moment, auf den gut eine Milliarde Katholiken gewartet haben: Der Kardinalprotodiakon tritt auf die Mittelloggia des Petersdomes. Jorge Arturo Medina Estévez sagt: „Ich verkünde euch die großer Freude. Habemus Papam“. Er hält kurz inne. Dann fügt der Kardinal hinzu: „Josephum…“ Der Rest, der Nachname Ratzinger, geht unter im Jubel der Menschen unten auf dem Platz. Das Mobilfunknetz bricht zusammen. Um 18:48 Uhr erscheint Papst Benedikt XVI., breitet die Arme aus, hält eine kurze Ansprache und spendet seinen ersten Segen.
"Benedikt sah etwas zusammengeflickt aus"
Drei Stunden später gehe ich an der Schweizergarde vorbei hinein in den Vatikan. Die angekündigte Pressekonferenz im Campo Santo Teutonico, dem Deutschen Friedhof, beginnt. Vier der Papstmacher sind gekommen. Die Kardinäle Karl Lehmann, Joachim Meisner, Friedrich Wetter und Georg Sterzinsky. Lehmann verliest eine Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz. Sie hört sich eher nüchtern an, so gar nicht nach „Wir sind Papst“.
Für einen Moment herrscht Stille. Andreas Englisch, der Kollege der Bild-Zeitung, durchbricht sie. Er sagt. „Erzählen Sie doch mal. Wie war‘s denn so im Konklave?“ Erst zögern die Vier, doch dann öffnen sie nachträglich einen Spalt breit die Tür zur Sixtinischen Kapelle. Sie geben nichts von dem preis, was ihrer Geheimhaltungspflicht unterliegt. Aber sie schildern ihre Gefühle, erzählen Anekdoten, wirken vollkommen befreit von einer großen Last, die plötzlich von ihnen gefallen ist.
Sie erzählen, dass sie schmunzelten, weil Benedikt im weißen Papst-Talar anfangs „etwas zusammengeflickt ausgesehen hat.“ Wie sie überrascht waren, als der neue Papst entgegen dem Protokoll mit seinen Kardinälen noch das Abendessen einnehmen wollte, bei dem es Bohnensuppe, Aufschnitt und Obst gab – sowie Eis und Sekt. Wie Meisner die Stimme versagte, als er dem neuen Papst erstmals gegenüberstand.
Dann geht dieser Tag zu Ende. Seit fünf Stunden ist Joseph Ratzinger nun Papst Benedikt XVI. Der Petersplatz ist jetzt fast menschenleer ist. Nur ein paar Grüppchen sind noch da, beten, singen, diskutieren. Und ein paar Meter vor mir geht einer der deutschen Kardinäle. Soll ich ihn ansprechen, einfach „Grüß Gott“ sagen? Ich verzichte darauf. Es ist für diesen Tag alles gesagt. Und ich war ja dabei, als es passierte.
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