Gorch Fock auf Heimreise – Besatzung wehrt sich gegen Vorwürfe
BUENOS AIRES/BERLIN - Die skandalumwitterte „Gorch Fock“ nimmt Kurs auf Deutschland. Die Stammbesatzung lässt die Schinderei-Vorwürfe von Kadetten nicht unwidersprochen auf sich sitzen. Mit an Bord des Seglers ist eine Untersuchungskommission zur Aufklärung der Vorwürfe.
Das in die Schlagzeilen geratene Segelschulschiff „Gorch Fock“ hat sich am Sonntag auf die Heimreise nach Deutschland vorbereitet. Es sollte voraussichtlich noch am Nachmittag deutscher Zeit den südargentinischen Hafen Ushuaia verlassen, wie der Sprecher des Schiffs, Fregattenkapitän Achim Winkler, telefonisch der Nachrichtenagentur dpa sagte. Mit an Bord ist die Untersuchungskommission unter Leitung von Konteradmiral Horst-Dieter Kolletschke, die Berichte über Missstände bei der Ausbildung und Vorwürfe von Offiziersanwärtern gegen die Stammbesatzung untersuchen soll.
Junge Offiziersanwärter sollen von Mitgliedern der Stammbesatzung drangsaliert, übermäßig unter Druck gesetzt und sogar sexuell genötigt worden sein. Unter noch ungeklärten Umständen waren 2008 und 2010 zwei Offiziersanwärterinnen zu Tode gekommen.
Die Stammbesatzung hat die Vorwürfe in einem offenen Brief an Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) zurückgewiesen und als „Rufmord“ bezeichnet. In dem am Wochenende bekanntgewordenen Schreiben heißt es: „Wir, die Stammbesatzung der „Gorch Fock“, fühlen uns sehr alleine gelassen.“ Gefehlt habe „der Rückhalt unserer übergeordneten Dienststellen“. Die Suspendierung von Kapitän Norbert Schatz wird als „Abservierung“ kritisiert.
Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) verwahrte sich gegen Pauschalkritik an der Bundeswehr. Bei den aktuellen Vorgängen handele es sich um „Einzelfälle“, aus denen die nötigen Schlüsse gezogen würden, sagte sie dem „Hamburger Abendblatt“ (Samstag). Sie verteidigte Guttenberg: Dieser habe „vollkommen richtig“ gehandelt. Die Suspendierung des „Gorch Fock“-Kommandanten sei noch „kein Urteil“. Die Abberufung diene auch seinem Schutz während der Untersuchung an Bord.
In der SPD werden die Perspektiven für den Minister aber kritisch gesehen. „Der Spielraum für Guttenberg ist enger geworden. Man wird in Zukunft weniger durchgehen lassen“, sage der Verteidigungsexperte der SPD- Bundestagsfraktion, Hans-Peter Bartels, der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.
Der frühere Heeresinspekteur Helmut Willmann hielt dem Minister im „Spiegel“ vor, sein Krisenmanagement sei „von Aktionismus und Hektik“ und daraus resultierenden Fehlentscheidungen geprägt. Willmann amtierte von 1996 bis 2001. Winkler sagte, in Offizierskreisen sei man zuversichtlich, dass die „Gorch Fock“ trotz der Krise Segelschulschiff der Marine bleibe.
Laut einer Umfrage steht Guttenberg im Urteil der Bürger aber immer noch gut da: Für einen Rücktritt sprachen sich laut „Bild am Sonntag“ nur 16 Prozent aus, 81 Prozent halten nichts davon. Fast jeder Zweite (48 Prozent) betrachtet den Minister als kanzlertauglich (bei Unions-Anhängern: 67 Prozent).
Schatz erwägt juristische Schritte gegen seine Suspendierung, wie sein Anwalt dem „Focus“ sagte. Der Vorsitzende des Deutschen Bundeswehrverbands, Ulrich Kirsch, sicherte Schatz in der „Bild am Sonntag“ umfassenden Rechtsschutz zu.
An Schatz' Stelle wird die „Gorch Fock“ während der mehrmonatigen Heimreise vom früheren Kapitän Michael Brühn kommandiert. Je nach Wetterverhältnissen wird das Schiff Deutschland Ende April oder Anfang Juni erreichen.
Die Berichte über Missstände auf dem Schulschiff rissen auch am Wochenende nicht ab. Bei Befragungen von Offiziersanwärtern in der Marineschule Flensburg-Mürwik sammelte ein Ermittlerteam nach Medienberichten weitere belastende Zeugenaussagen. Danach wurde laut „Bild“-Zeitung (Samstag) eine Kadettin schikaniert, bis sie weinend zusammenbrach. Ein Offiziersanwärter beklagte sich beim Wehrbeauftragten, Hellmut Königshaus, demnach darüber, dass er trotz massiver Höhenangst habe in die Wanten steigen müssen.
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