Interview

Frosch-Chef zu Klimaklebern: "Nur provozieren hilft nicht"

In "Die Ablenkungsfalle" schreibt Unternehmer Reinhard Schneider über Greenwashing, Analyse ohne Ahnung und den Sinn des Klimaklebens. Die AZ hat ihn interviewt.
von  Martina Scheffler
Frontstellung: Aktivisten der Letzten Generation gegen einen Lkw. Hilft das dem Klima? Nicht wirklich, sagt Reinhard Schneider.
Frontstellung: Aktivisten der Letzten Generation gegen einen Lkw. Hilft das dem Klima? Nicht wirklich, sagt Reinhard Schneider. © Oliver Berg/dpa

Reinhard Schneider (54) ist Geschäftsführer des Mainzer Familienunternehmens Werner & Mertz, zu dem unter anderem die Marken Frosch und Erdal gehören. 2019 wurde er mit dem Deutschen Umweltpreis ausgezeichnet. Die AZ hat mit ihm über Greenwashing und die Klimakleber gesprochen.

AZ: Herr Schneider, Sie sprechen in Ihrem Buch die vielen Fallen an, in die Verbraucher in Bezug auf Nachhaltigkeit tappen können. Welche ist die größte?
REINHARD SCHNEIDER: Der Umgang mit dem Thema Klimaneutralität. Ich sehe eine Art Wettrennen um die Heiligsprechung zur Klimaneutralität, die aber leider nicht so einfach und so billig zu erringen ist. Nehmen wir einen kirchlichen Vergleich: Wenn Sie Ihrem Beichtvater sagen, dass Sie alle Sünden gestehen außer den schwerwiegenden, und Sie hätten gerne die Absolution, beim Thema Buße aber einen großen Rabatt – so ähnlich ist es derzeit beim Ausloben von Klimaneutralität bei vielen Unternehmen und Produkten.

Reinhard Schneider (54) ist Geschäftsführer des Mainzer Familienunternehmens Werner & Mertz, zu dem unter anderem die Marken Frosch und Erdal gehören.
Reinhard Schneider (54) ist Geschäftsführer des Mainzer Familienunternehmens Werner & Mertz, zu dem unter anderem die Marken Frosch und Erdal gehören. © Dominik Butzmann

Wenn ich also im Supermarkt ein Produkt sehe, auf dem steht "Wir sind klimaneutral", dann muss das nicht stimmen?
Dem Verbraucher wird suggeriert, dass nun nichts weiter getan werden müsste, weder vom Verbraucher, noch von der Industrie, noch von der Politik. All das ist falsch. Bei gängigen Berechnungsmethoden zur Ermittlung des Klimafußabdrucks wird der größte Teil der Emissionen einfach ausgeklammert, nämlich die sogenannten Scope-3-Emissionen: alles, was mit Rohstoffen, Logistik und Entsorgung zu tun hat. Teilweise sind das über 90 Prozent der Emissionen, die nicht in die Berechnung einfließen müssen. Für die restlichen zehn Prozent muss man noch nicht einmal viel Reduktion im eigenen Einflussbereich umsetzen. Das meiste kann man kompensieren, indem man einer Agentur Geld gibt für CO2-bindende Projekte irgendwo auf der Welt. Das Problem: Die gezahlten Summen sind viel zu niedrig, um nur annähernd die nötige CO2-Bindung zu erreichen. Wenn Agenturen die CO2-Bindung, die ein ausgewachsener Baum ermöglicht, für einen Euro verkaufen, kann man zu diesem Preis nicht davon ausgehen, dass ein Samenkorn auch wirklich ein Baum wird.

Reinhard Schneider im AZ-Interview: "Klimaschutz gibt es nicht zum Nulltarif"

Die Zeiten sind für viele gerade nicht rosig. Geht das als Verbraucher: nachhaltig und dennoch nicht teuer kaufen?
Zehn Prozent teurer muss etwas sein, um die Chance zu haben, die Mehrkosten der neuen klimaschonenden Produktions- und Rohstofftechnologien tragen zu können – auch wenn man bereit ist, geringere Rendite einzufahren, als es große Börsenkonzerne tun. Unsere Branche, Wasch- und Reinigungsmittel, ist sehr preissensibel. Andererseits geht es dort um Beträge von gerade mal 20, 30 Cent. Klimaschutz gibt es nicht zum Nulltarif.

Kann ein Unternehmen echte Nachhaltigkeit leisten und profitabel sein?
Man muss unterscheiden zwischen börsennotierten Konzernen und kleineren Unternehmen. Warum Unternehmen nicht zehn Prozent mehr investieren? So lange es die Chance gibt, mehr zu verdienen und über Greenwashing dennoch imagemäßig gut dazustehen, gehen viele Firmen diesen Weg, weil er einfacher ist. Für börsennotierte Unternehmen sind zudem Bilanzkennzahlen wichtiger. Wenn sie nicht mithalten können mit der üppigen Rendite anderer Börsenunternehmen in derselben Branche, kommt der Kurs so unter Druck, dass der CEO einfach ausgetauscht wird. Das führt dazu, dass Großunternehmen mit hohen Gewinnen überraschend wenig in Nachhaltigkeit investieren.

Reinhard Schneiders Buch "Die Ablenkungsfalle" ist im Oekom Verlag erschienen und kostet 25 Euro.
Reinhard Schneiders Buch "Die Ablenkungsfalle" ist im Oekom Verlag erschienen und kostet 25 Euro.

Haben Sie Hoffnung, dass sich das doch einmal ändert angesichts der Folgen der Klimakrise?
Ja, schon. Ich habe mir überlegt, wo sind Lenkungskipppunkte? Da ist zum Beispiel die Art, wie Unternehmen bewertet werden. Es gibt ja bereits ESG-Kriterien – Ökologie, Soziales, Governance. Das Problem ist die mangelnde Sachkenntnis der Analysten. Sie erstellen Listen und schicken sie an Unternehmen, die dann selbst Angaben zu ihrer Nachhaltigkeit machen, zum Beispiel, ob sie einen Kodex gegen Kinderarbeit haben – kein relevantes Thema in Mitteleuropa. Überprüft wird das nicht. Man müsste es machen wie im Steuerrecht: Wie hoch wäre der Wahrheitsgehalt Ihrer Steuer-Selbstdeklaration, wenn Sie wüssten, dass Ihre Angaben nie geprüft würden? Wenn man bei Betrug am Pranger stünde, hätte das eine abschreckende Wirkung. Übertragen auf Nachhaltigkeit würde das bedeuten, dass es sich dann wirklich lohnen würde, in nachhaltige Technologien zu investieren.

"Was ist von der hohen Mineralölsteuer in Deutschland befreit? Einwegplastik"

Sie schlagen eine Reform des Patentrechts im Kampf für mehr Nachhaltigkeit vor – warum?
Mit uneinholbarem Knowhow-Vorsprung kann man heutzutage sehr viel Geld verdienen. Wenn der aber für viele brennend wichtig wäre, müsste man überlegen, ab wann dieses Wissen der Allgemeinheit zur Verfügung stehen sollte – nicht erst nach Ablauf des Patents nach 20 Jahren. Meine Empfehlung: Gerade, wenn es um umweltrelevante Patente geht, insbesondere um Sperrpatente, bei denen der Inhaber sie nicht selbst nutzt, sondern nur verhindern will, dass andere ihm ökologischere Konkurrenz machen, sollte der Patentschutz früher erlöschen.

Welchem Druck sehen Sie sich angesichts Ihrer Vorschläge ausgesetzt – von der Politik oder auch von Unternehmen?
Die Politik orientiert sich nicht an der Mehrheitsmeinung der unabhängigen Wissenschaft, sondern an Interessen. Gerade in Deutschland werden diese sehr stark übermittelt durch Lobbyistengruppen. Deren Wissenschaftler sind nicht unabhängig, sondern werden von ihnen bezahlt. Trotz grüner Regierungsbeteiligung setzt sich viel Politik der FDP durch. Es wird von Großunternehmen sehr stark Druck ausgeübt mit dem Thema drohender Verlust von Arbeitsplätzen wegen angeblich geringerer Wettbewerbsfähigkeit. Damit kriegen sie leicht Zugeständnisse. Dabei gäbe es ein wichtiges Mittel mit der EU-Plastiksteuer, die die teureren Rezyklate fördern soll, indem das umweltschädliche "virgin plastic" verteuert wird. In allen großen europäischen Ländern wurde das umgesetzt, nur in Deutschland verpufft die positive Lenkung, weil hier nicht die Verursacher zahlen, sondern alle Steuerzahler – 16 Euro pro Jahr, damit der umweltschädlichste Umgang mit Plastik nicht teurer wird. Und was ist von der hohen Mineralölsteuer in Deutschland befreit? Einwegplastik.

"Erfolg sollte sich nicht daran messen, wer einen Porsche hat"

Sie sprechen auch die Psyche der Menschen an und die auseinanderbrechende Gesellschaft – inwieweit ist das auf die Klimakrise zurückzuführen?
Es ist eigentlich die Überlagerung verschiedener Krisen, die eine Verdrängung auslöst. Vor etwa vier Jahren war es die Sorge um das Klima, dann kam Corona hinzu, dann der Ukrainekrieg, Kriegsangst und Inflationsangst. Das hat sich so aufgeschichtet, dass viele Menschen sagen: Lass' mich doch in Ruhe mit Krisen, ich mache es mir zuhause einigermaßen übersichtlich, es ist zu viel und zu komplex. Psychologen nennen das erlernte Hilflosigkeit.

Wie ist in dem Zusammenhang das Engagement der sogenannten Klimakleber zu bewerten?
Ich denke, zu dramatisieren ist bei vielen eher kontraproduktiv. Der Mensch neigt dazu, Ängste zu verdrängen, gerade, wenn sie wie die Klimaangst diffus sind. Dann wird nichts gemacht. Manche bekommen Depressionen, andere werden zu Wutbürgern. Die, die sich auf Straßen kleben, haben die richtigen Motive, aber ihr Mittel hilft wahrscheinlich nicht weiter. Man sollte sich eher mit Stellschrauben bei Steuern und lenkungspolitischen Maßnahmen befassen. Das ist mühsamer als grundsätzlicher Protest. Und: Einfach nur provozieren hilft nicht. Zwang führt weniger zu positiver Erkenntnis als vielmehr zu negativen Reaktionen. Zwang ist immer weniger wirksam als der Anreiz. Wir haben kein Bewusstseinsproblem, sondern es fehlt die Erkenntnis, durch welche eigenen Beiträge wir vorankommen. Wenn man die erreichen will, geht das nur über Belohnungswerte.

Wie können die aussehen?
Ökologischer Konsum darf nicht zu Kaufkraftverlust führen. Die Politik sollte für einen Ausgleich der Mehrkosten sorgen – die übrigens gar nicht so hoch sind. Auch das Wertesystem sollte sich ändern. Erfolg sollte sich nicht daran messen, wer einen Porsche hat, sondern daran, wer Sinnvolles für künftige Generationen tut.


Reinhard Schneider: "Die Ablenkungsfalle", Oekom Verlag, 264 Seiten, 25 Euro.

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