Freundschaft auf Pump

2000 Euro geliehen – keinen einzigen Cent zurückerhalten: Was ein Münchner erlebte, der einem Bekannten aushalf. Experten über ein neues Massenphänomen
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Rechnungen, Bescheide, Mahnungen, letzte Mahnungen – säuberlich sortiert: Die meisten Schuldner dürften weniger genau Buch führen.
Keystone Rechnungen, Bescheide, Mahnungen, letzte Mahnungen – säuberlich sortiert: Die meisten Schuldner dürften weniger genau Buch führen.

2000 Euro geliehen – keinen einzigen Cent zurückerhalten: Was ein Münchner erlebte, der einem Bekannten aushalf. Experten über ein neues Massenphänomen

Bei Freundschaft hört das Geld auf. Eigentlich geht diese Redensart ja andersherum. Doch Thomas L. (29) weiß inzwischen, dass sie auch auf diese Weise einen Sinn ergibt. 2000 Euro hatte er seinem Freund Sascha B. (31) geliehen – vor vier Jahren. Bis heute hat er noch keinen Cent davon gesehen.

Es ist eine Geschichte über Freundschaft in Zeiten der Wirtschaftskrise, darüber, wie die konjunkturelle Depression auch die zwischenmenschliche Beziehungen in ein Tief führen kann.

Angefangen hat es tatsächlich mit einem Freundschaftsdienst. Sascha B. steckte gewaltig in der Klemme, war arbeitslos und lebte auf großem Fuß, während sich die Mahnungen, Strafzettel und Inkasso-Briefe in seiner Mietwohnung stapelten. Irgendwann konnte er auch die nicht mehr bezahlen. Der Rausschmiss drohte, und damit der soziale Absturz. Wäre da nicht Thomas L. gewesen, der mit 2000 Euro einsprang. „Ehrensache unter Freunden“, sagt er noch heute – zumal B. einen Job in Aussicht hatte. „Er wollte einen Neuanfang machen, die alten Schulden auf einen Schlag begleichen.“

„Lass dir Zeit, zahl’s zurück, wenn du wieder flüssig bist“

Mehr im Scherz setzte L. noch einen kleinen Vertrag auf. „Das war mir fast peinlich, weil es ja so wirkt, als würde man sich nicht 100 Prozent vertrauen.“ Beide unterschrieben. „Lass dir Zeit, zahl’s zurück, wenn du wieder flüssig bist“, sagte er seinem Freund, der jetzt auch sein Schuldner geworden war. Dann wanderte das Papier in die Schublade.

Zwei Jahre gingen ins Land, und die Freundschaft den Bach hinunter. „Das hatte mit den Schulden erst einmal nichts tun“, berichtet Werbetexter L. „Man hat sich nach der Studienzeit einfach auseinanderentwickelt.“ 2008 fing er vorsichtig an, nach dem Geld zu fragen. Ja, er habe soeben einen Dauerauftrag eingerichtet, stehe gerade am Bankschalter, das Geld sei schon unterwegs, beruhigte Sascha B. immer wieder. Leere Versprechen.

„Ein typisches Verhalten“, sagt Michael Krämer von der renommierten Münchner „Bavaria Inkasso“ (www.bavaria-inkasso.de). „Das sind die üblichen Ausreden.“ Es gehe dem Schuldner oft darum, Zeit zu gewinnen. „Hinzu kommt die Scham – und irgendwas muss er ja sagen, um den lästigen Anrufer wieder loszuwerden.“ Irgendwann legte sich Sascha B. sogar eine neue Nummer zu, war für seinen ehemaligen Freund nicht mehr erreichbar.

Klischees greifen bei seriösen Inkasso-Betreibern schon lange nicht mehr

„Jetzt kommen wir ins Spiel“, sagt Experte Krämer. Fälle, in denen Schulden unter Freunden nicht zurückgezahlt werden, seien für das Inkasso-Unternehmen inzwischen Alltag. „Das hat stark zugenommen, gerade auch in Zeiten der Wirtschaftskrise, in denen die Gläubiger oft selber auf das Geld angewiesen sind, das sie verliehen haben.“

Erster Schritt: Ist kein fester Rückzahlungszeitpunkt vereinbart, muss schriftlich gekündigt werden. Sollte die alte oder neue Adresse nicht bekannt sein, hilft eine Melderegisterauskunft (ab zehn Euro auf muenchen.de erhältlich). Das Inkasso-Unternehmen, das parallel die Bonität prüft, kann nun zur Rückzahlung auffordern. „Das hat eine ganz andere Wirkung als wenn der Gläubiger bittet“, sagt Krämer. Oft gäbe es „eine Art Hoppla-Effekt“ beim Schuldner – über die Hälfte realisiere den Ernst der Lage und reagiere auf die unbequeme Post. Der Rest wird per Telefon kontaktiert.

Per Telefon! Nicht per Baseballschläger. Klischees greifen bei seriösen Inkasso-Betreibern wie der Bavaria schon lange nicht mehr. Krämer: „Wir versuchen zu vermitteln.“

Wenn der Gerichtsvollzieher klingelt

Schaltet der Schuldner trotzdem auf stur, kommt es zum gerichtlichen Mahnverfahren, das seit Juli 2008 auch von Inkasso-Seite betrieben werden darf. Ein letztes Mittel ist der Vollstreckungsbescheid, den ein Richter erlässt. Konto und Lohn können dann gepfändet werden, der Gerichtsvollzieher klingelt. „Das veranlassen alles wir“, sagt Inkasso-Chef Krämer. Neben einer Pauschale von 100 Euro verlangt sein Unternehmen im Erfolgsfall eine Provision von rund zehn Prozent.

Seit 2008 hat der Schuldner auch die Möglichkeit, den steinigen Weg der Privatinsolvenz zu gehen, kann sich wie ein Unternehmen für pleite erklären. Das erfordert allerdings sechs Jahre lang eiserne Disziplin.

So weit ist es zwischen Thomas L. und Sascha B. noch nicht. „Ich hoffe nach wie vor auf Einsicht“, sagt der Gläubiger, der sich inzwischen juristisch beraten lässt. „In der anwaltlichen Praxis kommt die Darlehensproblematik unter Freunden ständig vor“, berichtet der Münchner Star-Anwalt Roland Hasl. Die Beträge reichen dabei von 100 bis zu mehreren Hunderttausend Euro. „Je nach Temperament und Laune der Beteiligten überlegt man sich verschiedene Mittel, wie man den so zum Gegner gewordenen Freund doch zum Zahlen bewegen kann." Manchmal helfe nur die Strafanzeige.

Neue Kultur des Schuldenmachens

Wichtig sei es, das Darlehen schriftlich zu fixieren, sagt Hasl. „Ein mündlicher Vertrag ist zwar ebenso wirksam wie ein schriftlicher – verhält sich der gute Freund aber unredlich und behauptet zum Beispiel, es sei ein Geschenk gewesen, fehlt der Beweis.“ Der Vertrag müsse keine besondere Form haben: „Zur Not reicht auch ein Bierdeckel.“

Was aber passiert, wenn der Gläubiger behauptet, dass er das Geld bereits in Bar zurückgezahlt hat? „Das muss er beweisen können - zum Beispiel durch eine Quittung", sagt Michael Krämer von der „Bavaria Inkasso", der sich über eine neue Kultur des Schuldenmachens ärgert. „In Fernsehshows wird dieses unzuverlässige Verhalten total verherrlicht und der Eindruck erweckt, dass es absolute Normalität sei, geliehenes Geld nicht zurückzuzahlen."

Auch die Münchner Diplom-Psychologin Dorothea Böhm wird oft mit vergleichbaren Fällen konfrontiert, in denen neben der finanziellen auch die persönliche Enttäuschung eine Rolle spielt: „Man sollte sich vorher überlegen, wie der Bekannte in Geldangelegenheiten anderen gegenüber agiert hat“, lautet ihr Rat.

Oft gebe es schon Hinweise auf eine fehlende Zahlungsmoral, im Falle von Sascha B. zum Beispiel die sich türmenden Strafzettel. Böhm: „Auf Begriffe wie Ehre können Sie jedenfalls nicht zählen – auch unter Freunden nicht.“

Timo Lokoschat

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