Freiwillige lesen Katzen im Tierheim vor

In immer mehr Tierheimen gibt es nicht mehr nur Kratzbaum und Spielzeug, sondern auch Bücher
Hamburg/München - Rentnerin Erika Lemmel (69) geht regelmäßig in ein Hamburger Tierheim. Sie packt ihre Lesebrille ein, ein Buch wie „Bob, der Streuner“ und setzt sich dort zwischen Trockenfutter und Katzenklo. Sie ist eine der ersten Katzenvorleserin.
Während die 69-Jährige liest, treiben die Katzen so allerhand: Kater Gustav schnuppert versonnen an einem Korb, Mona versucht hingebungsvoll, die Verpackung der Leckerlis aufzureißen und Pola bleibt stille Beobachterin. Auch wenn die Katzen eher den Eindruck machen, dass sie Lemmels Lektüre weniger interessiert, ist es ein Trend, der sich in vielen Tierheimen ausbreitet.
Bis jetzt gab es Katzenkuschler und -krauler – Ehrenamtliche, die etwas verunsicherten oder gelangweilten Tieren die Zeit vertreiben, mit ihnen schmusen und spielen. Sie springen da ein, wo den Tierpflegern die Zeit fehlt, sich mit den Tieren zu beschäftigen.
Münchner Expertin: Katzen gewöhnen sich an Mensch ohne Zwang
Der Vorlese-Trend kommt – klar – aus den USA. Dort sind die „book-buddies“ („Bücher-Kumpel“) seit 2013 aktiv. Das Vorlesen sei besonders geeignet für Leseanfänger im Grundschulalter. Die private Tufts-University bei Boston habe herausgefunden, dass Schüler, die sich als freiwillige Katzenvorleser engagierten, schneller und besser lesen lernten.
Auch in vielen deutschen Tierheimen gibt es sie schon, auch in München. Dort wirbt die Initiative „Kids4Cats“ um die kleinen Katzenvorleser. Mit Kindern arbeiten auch Tierheime in Aschaffenburg, Nördlingen oder Marburg. In anderen Tierheimen wie Köln, Krefeld oder eben Hamburg sind Erwachsene als „Katzen-Gesellschafterinnen“ gefragt.
Erika Lemmel ist die Frau für die schweren Fälle im Hamburger Tierheim. Die Katzen wurden misshandelt oder von der Polizei oder Tierschützern aus Messie-Wohnungen geholt, in denen sich ihre einzige Bezugsperson nicht um sie gekümmert hat.
„Die Idee gefällt mir“, sagt die Münchner Tierärztin Dorothea Döring, die auf Verhaltenstherapie spezialisiert ist. „Scheue und traumatisierte Katzen profitieren mit hoher Wahrscheinlichkeit davon. Sie gewöhnen sich an Anwesenheit, Geruch und Stimme von Menschen, ohne bedrängt zu werden.“ Denn in der Regel würden Menschen, die sich Katzen nähern, bedrohliche Signale aussenden, wie In-die-Augen-schauen, Hand ausstrecken, über die Katze beugen und so weiter. „Ein vorlesender Mensch sitzt, schaut ins Buch und verhält sich ruhig. Das ist vertrauenerweckend aus Sicht einer Katze.“ In schweren Fällen sei aber zusätzlich Verhaltenstherapie zu empfehlen.
Lemmel verzeichnet schon die ersten Erfolge: „Erst haben die sich alle versteckt, waren ängstlich“, sagt Lemmel. Jetzt kommen sie schon mal an die Vorleserin heran und schnuppern. „Ich versuche, die Katzen wieder an den Menschen, an eine menschliche Stimme zu gewöhnen.“
Was muss ein Katzen-Vorleser mitbringen?
Sie sollten gelassen sein, Katzen-erfahren, über 18 und mit Tetanus-Impfschutz, so die Leiterin des Hamburger Tierheimes. Letztlich hat die Vorlese-Aktion auch einen ganz praktischen Aspekt: Umgängliche Katzen sind besser vermittelbar. Ein wichtiger Punkt in einem Tierheim, in dem jedes Jahr um die 2000 Katzen abgegeben werden.