Fit, fitter, 60!
In diesem Alter erreichen wir die höchste geistige Leistungsfähigkeit. Um sie bis ins hohe Alter zu erhalten, muss man allerdings einiges tun. Ein Neurobiologe erklärt, wie es funktioniert.
München - Im Alter geht’s bergab? „Das stimmt nicht!“, sagt Martin Korte (48). Der Münchner Neurobiologe, der seit acht Jahren als Professor an der TU Braunschweig lehrt, hat herausgefunden: Unsere größte geistige Leistungsfähigkeit erreichen wir statistisch gesehen, wenn wir etwa 60 Jahre alt sind. Und auch darüber hinaus können wir noch fit im Kopf bleiben, wenn wir einige Dinge beachten.
Also: Vorurteile beiseite! Jetzt ist Umdenken angesagt – und zwar bei Alten wie bei Jungen. Korte hat in seinem neuen Buch „Jung im Kopf“ zahlreiche erstaunliche Einsichten der Gehirnforschung zum Älterwerden zusammengetragen – der Wissenschaftler hatte sich zuvor schon mit dem kindlichen Gehirn befasst. Die ARD durchkämmt gerade mit einem von ihm entwickelten Test die Republik nach dem „klügsten Deutschen“ – Stoff für zwei Samstagabend-Shows im Oktober.
Korte weiß, wie Leistungsunterschiede entstehen und wie sie gemessen werden. „Ich forsche eigentlich über die zellulären Grundlagen des Vergessens“, sagt er der AZ. Dabei muss er auch unterscheiden, was normale Alterserscheinungen und was krankhafte Prozesse sind. Dabei stellte er fest: „Das Gehirn ist kein Organ, das verschleißt, wenn es häufig benutzt wird. Im Gegenteil: Eine Gehirnzelle lebt länger, je öfter sie benutzt wird.“
Hinzu kommt: Jüngere Menschen können zwar schneller Informationen aus dem Gedächtnis abrufen. Aber bei Älteren werden durch Erfahrung effektivere Schaltungen vorgenommen. Das Ergebnis: Ältere arbeiten effektiver und schneller. Forscher wiesen das zum Beispiel so nach, indem sie Sekretärinnen in verschiedenen Altersgruppen Diktate abschreiben ließen. Die jüngeren Sekretärinnen hatten grundsätzlich eine schnellere Tippgeschwindigkeit – die Älteren waren aber trotzdem früher fertig.
Wie kann das sein? Die jungen Frauen haben ein besseres Arbeitsgedächtnis – sie können sich also kurzzeitig mehr neue Dinge auf einmal merken. Dadurch funktioniert ihre Informationsverarbeitung besser: Die Zeit, die zwischen dem Hören von Informationen und dem Abtippen verstreicht, ist kürzer. Die älteren Sekretärinnen haben aber schon viele Diktate in ihrem Leben geschrieben. Sie wissen oft schon, nachdem sie nur Teile eines Satzes gehört haben, wie er enden wird. Mittels ihrer Erfahrung gleichen sie ihren Mangel an Geschwindigkeit mehr als aus.
Wissenschaftler haben den Effekt auch bei Piloten, Fluglotsen und in vielen weiteren berufsunabhängigen Leistungstests beobachten können. Die Liste an Fähigkeiten, die im Alter besser werden, ist lang: Man kann sich besser artikulieren, hat eine bessere räumliche Orientierung, kann also besser einparken, das Berufswissen wird immer größer, man kann besser schlussfolgern und besser mit Menschen umgehen. Kein Wunder also, warum es in unserer Welt von erfolgreichen und einflussreichen Menschen jenseits der 60 nur so wimmelt: Peer Steinbrück musste 65 werden, um SPD-Kanzlerkandidat zu werden. Adenauer war 73, als er Kanzler wurde. Helmut Schmidt beeinflusst noch mit 93 das politische Geschehen. Uli Hoeneß ist mit 60 ein gefragter Talkshow-Gast, Jil Sander kehrte mit 68 Jahren in die Modewelt zurück: Und auf die Anlagetipps von Warren Buffet oder George Soros, beide 82, hören alle Börsianer, besonders aber die jungen.
Aber warum hat das Altern trotz zahlreicher dieser Leistungsträger so einen schlechten Ruf? „Unsere Gehirne sind darauf geeicht, Unterschiede wahrzunehmen“, erklärt Korte. „Allerdings vergleichen wir unsere Leistungsfähigkeit immer nur mit dem Vorjahr.“ Es fällt also keinem mehr auf, inwiefern man sich im Vergleich zu seiner Jugend verbessert hat. Man sieht nur, dass man vor kurzem noch nicht so oft den Schlüssel verlegt hat. Dass man aber seit Jahrzehnten an Kompetenz dazugewinnt übersieht man – auch weil man dazu neigt, eher die schlechten Seiten zu sehen.
Langfristig gesehen werden die positiven Seiten klar – daraus ergeben sich auch Konsequenzen für den Arbeitsmarkt: „In allen Berufen gibt es Nischen für ältere Arbeitnehmer. Es geht darum zu sehen, dass es für jedes Alter die richtigen Tätigkeiten gibt“, meint Korte. „Ältere Arbeitnehmer lernen vielleicht nicht so schnell, das sollte man akzeptieren. Aber Beraterberufe und die richtige Entscheidung in komplexen Situationen zu treffen, das können Ältere viel besser.“ Wenn es um neuere Technologien geht, kann man also ruhig Jüngeren im Betrieb den Vortritt lassen. Wenn schwierige Entscheidungen zu treffen sind, sollte man aber auf die Erfahrung von Alten zurückgreifen.
Das gilt übrigens für alle Berufsgruppen. Ein alter Dachdecker wird vielleicht nicht mehr so gut klettern können, wie der junge Kollege. Doch wenn es zu Problemen kommt, wird ihn wenig überraschen und er hat die Lösung meist schon parat. Um den Altersvorteil zu erhalten, muss man ihn pflegen. Viele Menschen wollen sich im Alter aber immer weniger zumuten. Oder Lebenspartner und Angehörige versorgen sie aus falscher Rücksicht so umfassend, dass sie überhaupt nicht mehr gefordert werden. Das ist ein Fehler – das Gehirn verschleißt nicht, es bleibt in Form, wenn es benutzt wird. „Und dafür“, so Korte“ sollte man laufen, lieben und lernen.“
Laufen heißt: Man sollte sich regelmäßig körperlich betätigen, dem Alter entsprechend, solange es möglich ist. Sport ist immer auch Denksport und fördert auch das Gehirn. Wenn wir Muskeln aufbauen, werden auch entsprechende Hirnareale stimuliert. Dreimal die Woche eine halbe Stunde reicht aus. Im Zweifelsfall sollte man seinen Hausarzt fragen, was man noch im Alter machen kann.
Lieben meint: Sozialer Kontakt. Auch das fordert unsere geistigen Fähigkeiten. Wir müssen uns mit anderen Menschen auseinandersetzen. Auch wenn wir das nicht merken, trainiert es unser Gehirn.
Lernen steht für: ein Leben lang wissbegierig bleiben. Ob eine neue Sprache, wissenschaftliche Bücher oder Gedichte: Wer neue Informationen dauerhaft aufnehmen muss, stärkt sein Gehirn. Und wer außerdem noch Übergewicht vermeidet, macht eigentlich alles richtig.
Die Ergebnisse können sich sehen lassen: „75-Jährige sind heute schon zehn Jahre jünger im Kopf als ihre Altersgenossen vor 30 Jahren.“ Natürlich lässt sich ein Abnehmen der Leistungsfähigkeit nicht vermeiden. „Der Prozess ist aber verlangsambar. Allerdings nur etwa bis zum 85. Lebensjahr.“ Was danach geschieht ist eher genetisch bedingt.
Expertenwissen – und viel Lebenserfahrung
Dietmar Pfeiffer, 70 Jahre alt, berät Firmen – er arbeitet beim „Senior Expert Service“
Ältere Menschen sind als Experten gefragt – das macht sich der „Senior-Expert-Service“ zunutze: Vor 30 Jahren wurde die Stiftung gegründet. Rund 10000 Senioren sind dort aktiv, sie betreuen bundesweit 2500 Projekte pro Jahr. Dietmar Pfeiffer, IT-Experte im Ruhestand, ist einer von ihnen: „Die Unternehmen sind sehr begeistert von unserer Arbeit, weil wir nicht als Berater arbeiten, die etwas verdienen wollen, sondern weil es uns wirklich um die Arbeit selbst geht. Wir arbeiten nicht operativ, wir nehmen keinem die Arbeitsplätze weg. Wir vermitteln nur unser Wissen.“
Die Senioren arbeiten ehrenamtlich – sie bekommen nur die Spesen bezahlt und einen Tagessatz von 15 Euro. Bei Auslandseinsätzen die Hälfte. Besonders gefragt seien zum Beispiel Baumeister in der ganzen Welt. „Ich habe im Münchner Raum einem Großhandelsunternehmen für Champignons geholfen“, erzählt Dietmar Pfeiffer. „Die hatten keine Erfahrung mit modernem Marketing und Vertriebskanälen. Da konnte ich sie unterstützen. Wenn man viele Berufsjahre hinter sich hat, dann ist das Wissen sehr wertvoll.“
Die Senioren-Experten arbeiten vor allem mit mittelständischen und kleineren Unternehmen zusammen – größere Firmen können sich eigene externe Experten leisten. „Bei uns geht es aber nicht um Hochtechnologie. Wenn man ein halbes Jahr raus aus dem Beruf ist, dann ist das Wissen zum Beispiel über Computer schon veraltet.“ Doch viele Unternehmer suchen ohnehin etwas ganz anderes bei den Senioren: Lebenserfahrung.
„Vielen geht es einfach um ein Vier-Augen-Gespräch, weil es im eigenen Unternehmen dafür niemanden gibt.“ Dann haben die Projekte schon fast Lebensberatungs-Charakter: „Eins heißt ,VERA’, Verhinderung von Ausbildungsabbrüchen. Das wird gefördert vom Bundeswirtschaftsministerium und der Bundesregierung. Jeder Lehrling kann sich kostenlos an uns wenden und Dinge mit uns besprechen.“ Zum Beispiel Probleme mit den Eltern, Drogen, soziale Schwierigkeiten. „Unsere Senioren bekommen dafür eine extra Ausbildung.“
Auch ihm persönlich hilft der Senioren-Service, sagt Pfeiffer: „Wenn man pensioniert wird, fällt man in ein Loch. Mir ist es wichtig, Kontakt mit vielen Menschen zu haben. Wenn man nicht mehr im Beruf ist, schrumpft der Bekanntenkreis. Man hat zwar noch Freunde und Familie, das ist aber längst nicht so viel wie im Beruf. Ich wollte interessante Projekte machen, aber ohne den Stress. Und wenn man sich geistig und körperlich nicht betätigt baut man ab. Ich brauche die Herausforderung, die vielen Begegnungen, das Lampenfieber bei Vorträgen.“ Und es werden immer neue Experten gesucht, sagt der 70-Jährige: So fehlten vor allem Handwerker, zum Beispiel aus Berufen, die es nicht mehr oft gibt.
- Themen:
- ARD
- Helmut Schmidt
- Peer Steinbrück
- Uli Hoeneß