Findet Emo

Schwarz, sanft und mit Seitenscheitel: Was hinter der neuen Jugendbewegung Emo steckt.
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Ashlee Simpson und Freund Pete Wentz, letzterer ein Vertreter der neuen Jugendbewegung.
AP Ashlee Simpson und Freund Pete Wentz, letzterer ein Vertreter der neuen Jugendbewegung.

Schwarz, sanft und mit Seitenscheitel: Was hinter der neuen Jugendbewegung Emo steckt.

Versonnen streicht sich Isy (17) eine schwarze Strähne aus dem Gesicht. Kurz ringt er nach Worten, dann platzt es aus ihm heraus: „Ich bin ein sehr emotionaler Mensch, der manchmal mehr mit dem Kopf als mit dem Herzen denken sollte!“ Isy ist ein „Emo“, Teil einer neuen Jugendbewegung, die immer größere Kreise zieht.

Wer sich auf Spurensuche nach den Emos macht, trifft auf Klischees und Vorurteile. Einig sind sich die Jugendlichen immerhin, dass Emo die Kurzform der Musikrichtung „Emotional Hardcore“ ist, deren Wurzeln im Punkrock der 80er Jahre stecken. Heutige Vertreter wie die US-Bands „Fall out Boy“ oder „Panic at the Disco“ legen nach eigenen Angaben Wert auf gefühlvolle Texte. Keine Sensation: Dass Gefühle und Musik zusammengehören, meint man doch schon mal gehört zu haben.

Wirklich neu ist die Mode: schwarze Röhren-Jeans kombiniert mit karierten Schuhen, schrille Tüll-Röcke, kiloweise Ketten und Spängchen, extravagante Schminke und natürlich der obligatorische, einäugige Haarschnitt – ein Emo ist kein Emo, wenn nicht die Hälfte seines Gesichts mit einem überdimensionalen Pony verdeckt ist.

Schwarz ist Ansage, mögliche Alternativen sind schreiende Konterfarben wie Pink und Lila. Die Optik polarisiert, Anfeindungen von anderen Jugendlichen sind deswegen an der Tagesordnung.

„Einen Emo macht mehr aus als Schachbrettmuster und Kajal“ beschwert sich Christiane (16), Userin der Internet-Gemeinschaft emo-chat.mypeopls.de. „Wir denken halt viel über uns und die Welt nach, und das macht uns oft traurig. Ein paar ritzen sich auch die Arme auf, weil sie das alles nicht packen.“ Was sie mit „das alles“ genau meint, kann Christiane nicht sagen. Vom Tibet-Problem bis zum Milchpreis – es gibt ja viel zu verkraften.

Mechthild Schäfer, Entwicklungspsychologin an der Ludwig-Maximilians-Universität, kennt dieses Verhalten. „Jugendliche zwischen 13 und 19 Jahren sind auf der Suche nach ihrer eigenen Identität. Dabei pendeln sie ständig zwischen Kontrast und Kanonisierung“, sagt die Expertin. Teenager, die sich optisch von ihren Eltern abgrenzen wollen, bräuchten aber trotzdem ein Zugehörigkeitsgefühl. „Das bekommen sie durch eine Gruppe Gleichgesinnter. Emo ist damit ein weiteres jugendliches Phänomen, das wahrscheinlich kommt und geht wie alle anderen auch.“

Das von Christiane angesprochene „Ritzen“ nimmt Schäfer trotzdem ernst. „Klar, jede Gruppe hat ihre eigenen Verhaltensregeln, aber so ein Ritual kann sich schnell verselbstständigen“, erklärt sie. „Das sollte man aber keiner Jugendbewegung in die Schuhe schieben. Die Probleme haben meist andere Ursachen.“

Der Münchner Isy ist genervt, hält den Vorwurf der Selbstverstümmelung für ein Vorurteil, sagt, er kenne keinen Emo, der sich verletze. Christian Schanz, Betreiber der Internet-Community, in der auch Christiane aktiv ist, hat ähnliche Erfahrungen: „Es ist ein Klischee, dass alle Emos sich die Arme aufschneiden.“ Meistens werde in seinem Forum über Mode und Musik diskutiert. „Ritzen halten sie einstimmig für Quatsch.“

Dass Emos den Drang verspüren, die persönliche Situation als übertrieben dramatisch darzustellen, kann aber auch Schanz nicht abstreiten. „Emos begreifen sich als Außenseiter. Allerdings sind sie sehr tolerant und friedfertig.“

Der junge Isy will’s auf den Punkt bringen: „Wir haben doch alle Gefühle. Irgendwie ist jeder Mensch ein Emo und jeder Emo ein Mensch.“

Michèle Loetzner

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