Fesseln und Schläge in Kita - Ex-Erzieherinnen schweigen vor Gericht

Kindergärten gelten als besondere Schutzräume. Doch in einer Dorf-Kita in Rheinland-Pfalz sollen Erzieherinnen ihre Schützlinge auf unglaubliche Weise gequält haben. Nun stehen sie in Koblenz vor Gericht - und schweigen. Eine Verteidigerin spricht von einer Hexenjagd.
von  dpa
Die vier angeklagten ehemaligen Erzieherinnen der Kita Antweiler und ihre Anwälte, (l-r) Claudia W., Anna N., Sarah B. und Gisela N. stehen im Gerichtssal im Landgericht beim Prozess wegen mutmaßlicher Misshandlungen.
Die vier angeklagten ehemaligen Erzieherinnen der Kita Antweiler und ihre Anwälte, (l-r) Claudia W., Anna N., Sarah B. und Gisela N. stehen im Gerichtssal im Landgericht beim Prozess wegen mutmaßlicher Misshandlungen. © Thomas Frey/dpa

Koblenz - Gefesselte und eingesperrte kleine Kinder, in enge Hochstühle gequetscht und brutal zum Essen gezwungen: Die Anklage zeichnet beim Koblenzer Prozessauftakt gegen vier ehemalige Kita-Erzieherinnen ein grausames Bild. Die Frauen im Alter von heute 31, 34, 48 und 55 Jahren sitzen am Dienstag regungslos im großen Saal 128 des Landgerichts Koblenz. Sie äußern sich nicht zu den Vorwürfen. Nur eine Verteidigerin, Sandra Karduck, weist diese ausführlich zurück. Sie spricht von einer Kampagne und einer Hexenjagd.

Betroffene Eltern haben lange auf diesen Tag gewartet - die mutmaßlichen Misshandlungen im Kindergarten Regenbogen im rheinland-pfälzischen Antweiler (Kreis Ahrweiler) hatten schon vor rund fünf Jahren bundesweit für Schlagzeilen gesorgt. Langwierige Ermittlungen und die Überlastung einer zunächst zuständigen anderen Kammer mit vordringlicheren Verfahren mit Untersuchungshaft haben laut Gericht für die Verzögerung gesorgt.

Angespannte Stimmung bei den Zuschauern des Prozesses

Durch Antweiler rund das Nachbardorf Aremberg verläuft ein Riss, der sich auch bei den Zuschauern im Gerichtssaal zeigt: Die einen glauben die Vorwürfe, die anderen nicht - es gibt viele personelle Verflechtungen. Ein Mann aus Aremberg berichtet vor Prozessbeginn, sein Enkel habe in der Kita Regenbogen "irgendwas" schlucken müssen und deshalb zwei Monate im Krankenhaus verbracht. "Dann wurde er dreimal pro Woche psychologisch betreut." Die Nerven sind angespannt. So schimpft ein älterer Zuschauer nach der Frage, ob er in Antweiler wohne: "Ich wohne nirgendwo. Machen Sie, dass Sie wegkommen!"

Im Prozess wirft Staatsanwältin Daniela Knoop-Kosin drei der Angeklagten Misshandlungen zwischen Februar 2012 und November 2013 vor. Die vierte Frau habe die Taten nicht verhindert. Die Erzieherinnen sollen unruhige Kinder an ihren Stuhl gefesselt, in kleine Hochstühle gequetscht oder ihren Mund mit Klebeband verschlossen haben. Kinder, die ihr Essen ausgespuckt hätten, sollen in dunkle Räume gesperrt, geschlagen oder anderweitig gezwungen worden sein, das Essen erneut in den Mund zu nehmen und herunterzuschlucken. Ihr Schluckreflex sei teils gewaltsam und auch mit einer Flüssigkeit ausgelöst worden.

Staatsanwältin spricht von Misshandlung von Schutzbefohlenen, Freiheitsberaubung und Nötigung

Manche kleine Opfer hätten Entwicklungsstörungen und posttraumatische Belastungsstörungen davongetragen, erklärt Knoop-Kosin. Sie spricht von Misshandlung von Schutzbefohlenen, Freiheitsberaubung und Nötigung.

Verteidigerin Karduck betont, auch in diesem "hoch emotionalisierten Verfahren" gelte die Unschuldsvermutung. Sie verweist auf ein erst Jahre nach den mutmaßlichen Taten erstelltes aussagepsychologisches Gutachten und sagt: "Die Kinder konnten gegenüber der Gutachterin keine eigenen Erinnerungen an das vermeintliche Geschehen äußern." Die "Kampagne" gegen die Kita sei von einer "bestimmten Person" losgetreten worden - gemeint ist augenscheinlich eine Mutter, die als Nebenklägerin auftritt.

Karduck erinnert auch an die berüchtigten Prozesse um Kindesmissbrauch vor dem Mainzer Landgericht in den Neunziger Jahren: Alle 25 Angeklagten aus Worms wurden damals freigesprochen. Zuvor hatten viele von ihnen mehr als zwei Jahre in Untersuchungshaft gesessen, ihre Kinder hatte man ihnen weggenommen.

Betroffene Kinder könnten als Zeugen aussagen müssen

Der Koblenzer Prozessauftakt endet wegen des Schweigens der Angeklagten schon nach einer halben Stunde. Der Vorsitzende Richter Ralf Bock sagt: "Ich hoffe natürlich auch, dass das Verfahren nicht Jahrzehnte dauert, sondern in überschaubarer Zeit zu Ende ist."

Danach verteilt Anwältin Karduck ihre Ausführungen schriftlich an Journalisten. Nebenklägerin Irina Enting sagt: "Ich bin erleichtert, dass es losgeht und dass die Anklage umfänglicher ist, als ich dachte." Ihr Anwalt Peter Benens vermutet, dass auch betroffene Kinder als Zeugen im Prozess aussagen müssen - das könne sie erneut belasten. Weiter soll es am 16. Mai gehen - vorerst sind 13 Verhandlungstage bis Mitte Juli geplant.

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