Fans und Patrioten: „Schland“ in Schwarz-Rot-Gold

BERLIN - Jetzt wehen sie wieder – die Republik versinkt in einem Meer von Deutschland-Fahnen. Ob als Schminkset oder am Auto-Spiegel – vor Schwarz-Rot-Gold gibt es kaum Rettung. Nicht alle sind amüsiert.
Ibrahim Bassal versteht die Welt nicht mehr. „Wir leben in Deutschland, haben einen deutschen Pass, unsere Kinder sind hier aufgewachsen – und dann dürfen wir nicht für die Nationalmannschaft sein?“. Wie ein Löwe haben Ibrahim und sein Cousin Yussuf in den letzten Tagen für Schwarz-Rot-Gold gekämpft, als sich in Südafrika die Jungs um Özil, Cacau und Podolski warmsiegten und den Bassals die 20 Meter lange Deutschland-Fahne an ihrer Hausfassade in Berlin-Neukölln madig gemacht wurde. Ob Autonome, türkische Nachbarn oder verständnislose Eingesessene: „Für die Rechten sind wir Ausländer, für die Linken Schleimer.“
Dabei lebt der 39-jährige Ibrahim Bassal, der vor fast einem Vierteljahrhundert aus Beirut im Kiez an der Sonnenallee ankam, nur etwas heftiger aus, was mit dem Triumph über England offensichtlich wurde: Immer mehr Jugendliche türkischer und arabischer Abstammung gehen für „Schland“ auf die Straße. Ob in Berlin-Neukölln oder in Köln-Ehrenfeld – die Trendfarben der Saison stehen dort schon fest.
Montagmorgen an einer Hamburger Grundschule: Eltern-Autos fahren mit schwarz-rot-goldenen Fähnchen oder Seitenspiegel-Stulpen auf den Parkplatz. An diesem Morgen aber leuchtet einem aus (gefühlt) jedem zweiten Kindergesicht Deutschland-Schminke entgegen, die Zahl der Kinder namens Schweinsteiger oder Podolski scheint sich über Nacht vervielfacht zu haben – zumindest wenn der Schriftzug auf dem Rücken stimmt. Ansonsten fußball-uninteressierte Mädchen tragen schwarz- weiße Kleidchen, schwarz-rot-goldene Schweißbänder oder Haarspangen.
Auch woanders wird es dreifarbig. Eine italienische Eisdiele in Ludwigsburg bietet Deutschland-Eis in den Nationalfarben. In Stuttgarts Zoo Wilhelma werden die Elefanten Zella, Molli und Vilja dezent patriotisch bemalt.
Doch in „Bassal's Elektroshop“ an der Sonnenalle Ecke Pannierstraße wird Multikulti-Fußballdeutschland auf eine harte Probe gestellt. Hier heißen die Läden „Snack al-Hara“ oder „Sultan Zwei - Bäckerei“, der türkische Halbmond weht neben dem libanesischen Zedernbaum vor den Geschäften, und Fahrschulen versprechen guten Rat für Angsthasen.
„Ich werde Ihnen mal was erzählen“, sagt Ibrahim und beugt sich über die Glastheke mit den vielen Handys. „Eine Frau kam in den Laden und sagte: "Wie kannst Du bei dieser Geschichte überhaupt so eine Fahne raushängen.“ Ibrahim kann nur den Kopf schütteln. „Was hat Fußball denn mit den Nazis zu tun“, fragt er und wartet die Antwort erst gar nicht ab: „Nichts, überhaupt nichts“.
Das sehen die Autonomen etwas anders. Ein „Kommando Kevin-Prince Boateng Berlin-Ost“ rühmt sich im Internet-Portal Indymedia, „schon 1657 Schwarz Rot Goldene Lumpen“ erbeutet zu haben. Die Aktion richte sich gegen den „eventabhängig aufkommenden Patriotismus“. Ob Lena, die WM oder die Papstwahl: „Deutschland zu feiern scheint nur möglich, wenn es nicht wirklich um Deutschland geht“, heißt es in dem Aufruf.
Für Ibrahim, dessen Familie vor dem libanesischen Bürgerkrieg flüchtete, hat Deutschland allerdings weniger etwas mit Event zu tun. „Wir haben hier ein sicheres Dach über dem Kopf“, seine Kinder könnten hier zur Schule gehen. Die Fahne über fünf Etagen für tausend Euro sei da nur „ein kleines Geschenk an dieses Land“. Kahled Hossen, der die Flagge auf dem Dach befestigte, hat dafür sein Leben riskiert. Auch wenn Autonome immer wieder an der Fahne zerren oder zündeln: „Wir werden sie auch immer wieder reparieren.“ Yussuf hat sich mittlerweile warmgeredet, Kunden haben jetzt schlechte Karten. „Wir können auch den Deutschen ein wenig Nationalstolz beibringen, Geschichte hin oder her.“
Für Jihad Souidan bleibt Yussuf aber trotzdem ein „Schleimer“. Der Mechaniker aus der Liebenwalder Straße findet, dass sein Freund gerade etwas hyperventiliert. „Ja, uns geht es gut hier, aber da brauchst Du doch nicht gleich eine Fahne über die ganze Hausfassade hängen.“
Tatsächlich geht es auch ein paar Nummern kleiner. Mittlerweile wehen nicht nur in Neukölln an vielen Fenstern und Balkonen die bundesrepublikanischen Winkelemente. Aber auch als Überzieher für den Auto-Außenspiegel oder als Schminkset aus der Drogerie – es war noch nie so leicht, Farbe zu bekennen.
Für Safter Çinar sind das alles hoffnungsfrohe Signale. „Özil und Khedira zeigen, dass auch die Kinder der Einwanderer hier eine Chance haben“, sagte der Sprecher des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg. Wenn 11 der 23 Spieler einen „Migrationshintergrund“ haben, so trage das auch zur Identifikation mit der Mannschaft bei. Dass dabei auch manche die türkische Fahne danebenstellen, sieht Cinar gelassen. „Das ist kein Widerspruch – das eine schließt das andere nicht aus“ (dpa)