Interview

Fallstricke für Frauen im Job: "Männer müssen etwas von ihrer Macht abgeben"

Frauen haben es systematisch bei Beförderungen, Führungspositionen und Gehaltsverhandlungen schwerer. Das sagt die Wiener Autorin und Journalistin Verena Bogner. In ihrem Buch "Not your business, babe!" fordert sie ein feministisches Umdenken. Die AZ hat mir ihr gesprochen.
von  Rosemarie Vielreicher
Völlige Gleichstellung im Beruf für Frauen und Männer – das ist noch Zukunftsmusik.
Völlige Gleichstellung im Beruf für Frauen und Männer – das ist noch Zukunftsmusik. © imago/HalfPoint Images

AZ: Frau Bogner, das Weltwirtschaftsforum hat 2022 vorausgesagt: Es wird noch 132 Jahre dauern, bis Männer und Frauen gleichgestellt sein werden. Mittlerweile wären wir bei 130 Jahren angekommen, wir beide werden das nicht mehr erleben. Warum dauert das so lang? Wer oder was hemmt die Gleichstellung aus Ihrer Sicht so stark?
VERENA BOGNER: Ja, das ist natürlich eine sehr düstere Aussicht. Es ist so tief in unserer Gesellschaft, in unserem kapitalistischen System verankert, dass Männer und Frauen in der Arbeitswelt ungleiche Startbedingungen haben. Das äußert sich im Klassiker, dem Gender Pay Gap, oder darin, dass Frauen seltener befördert werden und weniger Gehaltserhöhungen bekommen. Es gibt etwa auch die gläserne Decke, das bedeutet, Frauen haben es schwerer, in die Führungsebene zu kommen. Und auch wenn sie nach oben kommen, verdienen sie dort trotzdem noch weniger als ihre männlichen Kollegen. Es ist schwer, strukturelle Veränderungen im System voranzubringen.

Wollen Männer diese Veränderungen?
Wenn man sich in die Männer hineinversetzt: Sie müssen etwas von ihrer Macht und ihren Privilegien abgeben, damit es für alle besser werden kann. Das ist hart, das mag man theoretisch verstehen. Aber auf einer praktischen Ebene betrachtet, haben sie so viel davon – wenn sie nur ein bisschen davon abtreten würden, wäre es für alle besser. Auch Männer leiden unter dem Patriarchat.

Autorin Verena Bogner: "Alle würden davon profitieren, wenn wir diese Bilder aufbrechen"

Inwiefern?
In unserer Gesellschaft ist ein ganz bestimmtes Männerbild sehr präsent, auch in der Arbeitswelt: Es geht um Macht, Durchsetzungsvermögen und umgangssprachlich gesagt: Wer ist der größte Macker? All das wird mit dem Begriff der toxischen Männlichkeit gut zusammengefasst. Es bleibt dabei kein Platz für Männer, die davon abweichen. Alle würden davon profitieren, wenn wir diese Bilder aufbrechen und an einer menschenfreundlicheren Zukunft arbeiten.

Verena Bogner ist 1992 geboren und lebt in Wien.
Verena Bogner ist 1992 geboren und lebt in Wien. © Ingo Pertramer

Was haben Sie in Sachen Patriarchat im Job schon erlebt, haben Sie konkrete Beispiele?
In meinem ersten Job war ich noch ganz blauäugig und dachte: Wer es nicht schafft, hat sich nur nicht genug angestrengt. Irgendwann habe ich bei einem Gespräch herausgefunden, dass mein männlicher Kollege auf derselben Stufe – der aber wie von Zauberhand viel weniger Extra-Tasks bekommen hat – mehr als ich verdient. Erst dachte ich: Ich habe zu schlecht verhandelt, ich habe meine Leistungen zu wenig nach außen getragen. Aber irgendwann ist mir der Knopf aufgegangen, dass ich nicht zu schwach bin oder mich zu wenig selbstoptimiert habe, sondern es strukturelle Gegebenheiten sind. Etwa, dass Männer eher Männer befördern, Männer eher Gehaltserhöhungen bekommen, wenn sie danach fragen – dazu gibt es Untersuchungen, die das bestätigen. In diesem Moment habe ich zum ersten Mal gemerkt: Hier läuft etwas falsch und es ist eben nicht so, wie es besonders Millennials vermittelt wird: Harte Arbeit ist gleich Erfolg.

"Männer befördern eher Männer"

Sie beschreiben in Ihrem Buch auch das "Peter"- und das gegenläufige "Paula"-Prinzip. Was hat es damit auf sich?
Unter dem "Peter"-Prinzip versteht man, dass Männer bis an die Grenzen der Unfähigkeit befördert werden. Die werden also so lange befördert, bis sie in einem Job stehen, von dem sie keine Ahnung haben, wie er eigentlich geht. Das kennt der eine oder andere vielleicht: Die Kollegen auf der Ebene drunter schmeißen den Laden, aber er ist halt der Chef.

Und das "Paula"-Prinzip?
Das besagt, dass Frauen nur bis zur Grenze der Fähigkeit befördert werden, also nur so weit, wie sie die Aufgaben tatsächlich erfüllen können.

Woran liegt das?
Männer befördern eben eher Männer. Es ist auch bewiesen, dass Männer ihre Fähigkeiten eher überschätzen, Frauen dagegen unterschätzen sie eher.

Work Wifey, Arbeitsplatz-Mami, Work Bestie - in solche Rollen werden Frauen oftmals gedrängt. Warum?
Das liegt daran, dass die Gesellschaft automatisch davon ausgeht, Fürsorge und Freundlichkeit liege im weiblichen Wesen. Das ist eine problematische, stereotype Sicht der Dinge. In diesen Belangen wird uns diese zugeschriebene Freundlichkeit zum Verhängnis, denn dadurch bekommt man Extra-Aufgaben wie Kaffee vorbereiten, sich um jemanden kümmern, dem es nicht gut geht, und so weiter. Wenn man dann mal Nein sagt, ist man gleich die Zicke oder die Empfindliche.

"Ich habe am Arbeitsplatz viel häufiger Männer rumschreien hören als Frauen" 

Sie sagen: Man darf den Ärger als Frau ruhig mal rauslassen. Was bringt das?
Eine gewisse Art von Gefühlen am Arbeitsplatz ist für Frauen erlaubt: Wir dürfen lieb sein, wir dürfen andere trösten, uns kümmern. Aber negative Gefühle sind bei Frauen nicht gern gesehen. Ich habe am Arbeitsplatz viel häufiger Männer rumschreien hören als Frauen. Wenn das eine Frau macht, kommen gleich Sprüche wie: Die hat doch ihre Tage. Eine Empowerment-Businesscoachin hat mir gesagt: Durch Wut, durch negative Gefühle entsteht Veränderung. Nicht dadurch, dass wir alle zufrieden sind und über eine Blumenwiese laufen. Erst wenn ich merke: Hier werden meine Grenzen überschritten und daran muss etwas geändert werden. Ich meine nicht, dass man jetzt zur Cholerikerin werden soll, aber man sollte deutlich machen: Ich habe nicht nur die lieben Gefühle, sondern auch die negativen. Und für die gibt es so viele Gründe am Arbeitsplatz angesichts der strukturellen Benachteiligungen. Es ist für einen selbst und die mentale Gesundheit wichtig, dass man nicht alles runterschluckt.

Einen vermeintlichen Feminismus in der Arbeitswelt beschreibt der Begriff Girlboss. Doch der gaukelt uns eigentlich etwas vor. Können Sie das ausführen?
Wenn man es als junge, unabhängige "Powerfrau" nach oben schafft, gilt das im Girlboss-Feminismus automatisch als feministisch und als eine tolle Leistung. Die Rechnung ist aber zu einfach, denn sie geht davon aus, dass Frauen die besseren Männer sind. Aber wir sind in derselben Welt sozialisiert worden, auch Frauen können sexistisch sein, können Steigbügelhalterinnen des Patriarchats sein. Dann hat man vielleicht eine weibliche Chefin, aber sie empowert niemanden, sie nutzt ihre Macht nicht dafür, um andere Frauen zu stärken, sondern sagt: "Ich musste mich auch nach oben kämpfen und mir hat auch keiner geholfen." An diesem Ego-Zugang ist gar nichts feministisch.

Weibliche Solidarität und männliche Verbündete 

Haben Sie Tipps, wenn Frau in die Gehaltsverhandlung gehen will?
Zunächst sollte man sich gut vorbereiten und notieren: Was will ich alles sagen? Was sind meine Leistungen? Was sind die Gründe, warum ich diese Gehaltserhöhung verdient habe? Und man sollte auch die möglichen Gegenargumente durchspielen und sich mental darauf einstellen. Auch wichtig: nicht locker lassen. Ich würde auch ein bisschen frech sein und die Zahl höher ansetzen – und vielleicht landet man dann ja beim tatsächlichen Wunschgehalt. Stell dir vor: Mit welcher Forderung würde dein männlicher Kollege reingehen? Und genau damit gehst du auch rein!

"Not your Business, Babe!" von Verena Bogner.
"Not your Business, Babe!" von Verena Bogner.

Also der Mann doch als Vorbild?
In dem Fall ist das der Weg, den man gehen sollte.

Wie können Frauen andere Frauen unterstützen?
Die gegenseitige Unterstützung ist ein wichtiges Tool, wie wir etwas verändern können. Es ist wichtig, dass wir uns Verbündete suchen und füreinander da sind. Wenn die Praktikantin sich nicht gegen Sexismus aufzustehen traut, unterstützt sie! Wenn immer dieselben Personen im Team Extra-Aufgaben bekommen, tut euch zusammen und geht zum Chef. Man muss einfach die Narrative, die uns klein halten, entlarven und gemeinsam dagegen stark werden. Aber wichtig ist auch zu erwähnen: Wir brauchen männliche Verbündete. Männer müssen mithelfen, wenn die Arbeitswelt feministischer, aber auch menschenfreundlicher für uns alle werden soll. Auch sie müssen bei einem sexistischen Spruch dem Kollegen deutlich machen, dass das daneben war. Die weibliche Solidarität ist das eine, die männlichen Verbündeten sind ebenso wichtig.

Red Flags im Berufsleben (nicht nur für Frauen):

Red Flags – ein beliebtes Wort in toxischen Beziehungen. Aber auch im Beruf oder bei der Jobsuche gibt es Situationen, die einen hellhörig werden lassen sollten. Verena Bogner nennt im Gespräch mit der AZ eigene Erfahrungen, aber auch solche Red Flags, die sie im Gespräch mit Experten herausgearbeitet hat und die nicht nur für Frauen gelten:

  • Gratisarbeit: Autorin und Journalistin Bogner sagt: "Wenn mich jemand anschreibt und von mir Gratisarbeit will oder gar nicht erwähnt, ob es Honorar gibt, ist das für mich die größte Red Flag. Nein, danke."
  • Bewerbungsgespräch wie eine Prüfung: Wenn der potenzielle Chef oder die Chefin agiert, als wäre man gerade beim Abitur, verspricht das Bogner zufolge nichts Gutes: "Dann kann man davon ausgehen, dass der Job extrem hierarchisch ist und nicht auf Augenhöhe."
  • Unbekanntes Team: "Wenn man nicht die Chance bekommt, das Team kennenzulernen, um zu sehen, wie sie miteinander umgehen", ist das für Bogner eine Red Flag. "Wir verbringen schließlich so viel Zeit in der Arbeit und stecken viel Energie hinein." Daher müsse man wissen, wie der Umgang im Team ist. Sie würde das durchaus auch einfordern – wenn es abgelehnt wird, könne man seine Schlüsse daraus ziehen.
  • Keine Wünsche erlaubt: Wie wird mit Nachfragen und Wünschen umgegangen? Wird das ernst genommen oder einfach vom Tisch gewischt und gesagt, man sei etwa zu anspruchsvoll? Auch wenn der Chef Beschwerden nicht ernst nimmt, ist das für die Autorin nicht hinzunehmen.
  • Chef äußert sexistische Sprüche: "Jeder von uns hat eine persönliche Toleranzgrenze – weil wir schon fast daran gewöhnt sind, ist sie wohl höher, als sie in einer perfekten Welt sein sollte." Bogner sagt: "Sobald man sich unwohl fühlt, sollte man etwas sagen." Sich vielleicht auch an eine Kollegin oder an einen Kollegen damit wenden. In solchen Fällen müsse man für sich und seine Grenzen, aber auch für andere eintreten. Etwa für die neue Praktikantin, die sich dazu nichts zu sagen traut.
  • Vorstellungsgespräch – und es sind nur Männer am Tisch: Was sagt Bogner dazu? "Ich würde innerlich meine Schlüsse daraus ziehen." Sprich: Wer trifft in dem Unternehmen Entscheidungen? Wer gibt den Ton an? "Dann muss man sich selbst überlegen, ob man bei so einem Unternehmen arbeiten möchte." Aus ihrer Sicht wird gerade bei der Generation Z immer wichtiger, wie Firmen unter anderem mit Gender-Gerechtigkeit umgehen.
  • Ungleiche Verteilung: Wenn immer die Frauen die Extra-Aufgaben bekommen.
  • Mentale Gesundheit als Privatsache: Das findet Bogner sogar eine "extreme Red Flag". Das Thema müsse auch im Arbeitsleben mehr in den Fokus rücken, Frauen seien hier nochmal gefährdeter, weil sie die Doppelbelastung etwa mit Care-Arbeit tragen.
  • Empfindlichkeit als Vorwurf: Wenn Arbeitgeber- und Arbeitgeberinnen über jüngere Generationen urteilen, sie seien nicht leidensfähig wie Boomer früher. "Daran merkt man: Dieser Arbeitgeber ist veränderungsresistent."

Zum Buch: Verena Bogner: Not your Business, Babe! Alles, was du als Frau über die Arbeitswelt wissen musst; Kiwi; 14 Euro

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