Fall Kachelmann: Das Medien-Gericht tagt

Der Fall Kachelmann wird so öffentlich ausgetragen wie kaum ein anderer – die Magazine konkurrieren nicht nur um exklusive Nachrichten, sie werden auch instrumentalisiert.
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TV-Moderator Kachelmann bei seiner Entlassung
dpa TV-Moderator Kachelmann bei seiner Entlassung

Der Fall Kachelmann wird so öffentlich ausgetragen wie kaum ein anderer – die Magazine konkurrieren nicht nur um exklusive Nachrichten, sie werden auch instrumentalisiert.

Ich bin ein gesetzestreues Weichei“ – Kachelmann spricht über seine Arbeit als Hilfsreiniger im Knast, er sagt, dass seine Ex sich an ihm rächen wolle und dass seine 80-jährige Mama das Ganze schwer mitnimmt. Das dreiseitige Interview steht seit dem gestrigen Montag im „Spiegel“, zeitgleich titelt der „Focus“: „Kachelmann exklusiv – die Akte, alle Gutachten, was die Ex-Geliebten sagen, das Tagebuch des angeblichen Opfers“. Selten wurden so viele Details vor einem Prozess an die Öffentlichkeit lanciert wie im Fall Kachelmann. Kritiker sprechen deswegen schon von einem „Mediengericht“.

Die wichtigsten Medien sind bei Kachelmann „Spiegel“ und „Focus“. „Focus“ machte Details aus Ermittlungsakten öffentlich – etwa, dass Kachelmann ein Messer benutzt haben soll. „Bunte“ brachte derweil die Auskünfte von Kachelmanns Ex-Geliebten. Am 7. Juni dann zitierte der „Spiegel“ erstmals aus verschiedenen Gutachten – Tendenz: die „Wende“. Man zitierte aus dem psychologischen Gutachten, wonach die Gutachterin die Zeugin für nicht glaubwürdig halte. Man zitierte aus rechtsmedizinischen Gutachten, die eine Selbstverletzung der Frau nahelegten.

Im Juli zog „Focus“ nach. Tendenz: Kachelmann ist dennoch schwer belastet. Man zitierte andere Stellen des gleichen psychologischen Gutachtens, die keine so eindeutige Lesart zuließen. Außerdem werde Kachelmann ebenda als „narzisstische Persönlichkeit“ bezeichnet. Auch wurde ein Traumatologe genannt, der die Zeugin für glaubhaft hält.

Das Ganze gipfelt in den aktuellen Ausgaben: Im „Spiegel“ das Interview eines zu Unrecht Beschuldigten, im „Focus“ das Tagebuch einer traumatisierten Frau nach einer Vergewaltigung. Und die Meldung über ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen Kachelmann wegen gefährlicher Körperverletzung.

Kachelmanns Anwalt Reinhard Birkenstock kritisierte von Anfang an die Staatsanwaltschaft, dass überhaupt die Festnahme bestätigt wurde. Seitdem sind die Ermittler im Verdacht, belastendes Material an die Medien weiterzuleiten. Andererseits bekamen die Medien, allen voran der „Spiegel“, auch Infos, die Kachelmann entlasten. Woher hatten sie die Gutachten? „Zeit“-Reporterin Sabine Rückert räumt ein, Kachelmanns Anwalt Birkenstock habe ihr Akten angeboten, das sei nicht unüblich. Birkenstock bestreitet das.

Experten haben für derartige Deals einen Namen: Ligitation-PR. „Spiegel“-Gerichtsreporterin Giesela Friedrichsen erklärt: „Anwälte sind spezialisiert darauf, die Medien anzusprechen und zu beeinflussen im Sinne ihres Mandanten, auf dass die dann ein öffentliches Meinungsklima erzeugen.“ Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger sagt, „Ligitation-PR gewinnt erheblich an Bedeutung“. Medienberichte könnten „erheblichen Druck auf ein Gericht ausüben“.

Dabei geht es nicht nur um den Druck aufs Gericht, sondern auch um das öffentliche Bild des Betroffenen. Kachelmann ist selbst Medienprofi – und so spielt er die Klaviatur geschickt. Er hat nicht nur den Strafrechtler Birkenstock engagiert, sondern auch den Medienanwalt Ralf Höcker. Kachelmann gab direkt nach seiner Freilassung „Bild.de“ ein Interview – beziehungsweise setzte dort ein Statement ohne Gegenfragen ab – gleichzeitig verklagt Höcker „Bild“ und „Bild.de“ auf Schadenersatz von über zwei Millionen Euro wegen Verletzung der Persönlichkeitsrechte.

Rechtlich ist zwar klar, dass die Medien über einen Fall von öffentlichem Interesse – das ist der Fall Kachelmann schon durch die Person und die Schwere des Vorwurfs – berichten dürfen, wenn sie einen „Mindestbestand an Beweistatsachen“ vorweisen können. Unklar bleibt aber, welche Details für eine solche Berichterstattung nötig sind.

So wurde „Focus“ auf Betreiben von Kachelmanns Anwalt gerichtlich untersagt, das Messer zu erwähnen – obwohl das rechtlich aus einer „Vergewaltigung“ eine „besonders schwere Vergewaltigung“ macht. Wie privat ist Kachelmanns Promiskuität, wenn sie ein Motiv für die Rache der Ex sein könnte? Wie irrelevant sind Sexpraktiken, wenn das vermeintliche Opfer daher sein Verletzungen haben könnte? All diese Themen werden Bestandteil des Prozesses sein – und dann auch wieder Teil der ganz regulären Berichterstattung. Tina Angerer

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