Facebook: Der gläserne Netzwerker

MÜNCHEN - Mehr als fünf Millionen Deutsche tummeln sich auf Facebook. Doch wegen des laxen Umgangs mit persönlichen Nutzerdaten könnten viele das soziale Netzwerk fluchtartig verlassen.
Für manche ist es die schönste Nebensache der Welt, für andere eine Gelegenheit, sich kostenlos zu inszenieren: Weltweit tummeln sich auf Facebook fast 500 Millionen Mitglieder – allein in Deutschland sind es laut Facebook 5,7 Millionen Nutzer, die dort regelmäßig chatten, Urlaubsfotos hochladen oder den Status ihrer Freunde kommentieren.
Doch jetzt muss Facebook-Gründer Mark Zuckerberg um seinen Ruf kämpfen: Fast täglich kursieren neue Meldungen über Datenlecks bei Facebook. Wegen der jüngsten Änderungen beim Datenschutz wird die eigentlich privat anmutende Plattform immer öffentlicher. Prompt drohen in den USA und Europa tausende Mitglieder damit, das Online-Netzwerk zu verlassen. Für den 31. Mai riefen manche sogar weltweit zum „Quit Facebook Day“ – der Tag, an dem sie ihre Mitgliedschaft in Massen kündigen wollen. Die AZ fasst die größten Facebook-Ärgernisse und -Pannen beim Datenschutz zusammen:
Warum sind die Datenschutzeinstellungen so kompliziert? Über die persönlichen Datenschutzeinstellungen kann der Nutzer bestimmen, ob auch Fremde Infos oder Fotos auf seinem Profil einsehen können, oder zum Beispiel nur Facebook-Freunde. Problem: Sogar geübte Nutzer sind kaum imstande, die vielen persönlichen Datenschutzeinstellungen zu kontrollieren. Standardmäßig ist das Profil so voreingestellt, dass jeder Fremde Zugriff hat.
Was hat sich mit den neuen Datenschutzeinstellungen geändert? Die neuen Einstellungen erlauben ausgesuchten Partnerfirmen, auf Nutzerdaten zuzugreifen. Prominentes Beispiel: CNN.com zeigt individuell auf den User zugeschnittene Angebote auf dessen Profil-Seite, ohne dass dieser jemals die Website besucht hat. Jüngster Skandal: Laut „Wall Street Journal“ gab Facebook Werbekunden jetzt sogar die Möglichkeit, zu erkennen, welche Nutzer ihre Werbung anklicken, und das ohne deren Zustimmung.
Ab wann wird’s kriminell? Das ARD-Magazin Monitor deckte auf, dass Facebook die Passwörter seiner User teils unverschlüsselt im Internet übertrug: Wer von Facebook zu Skype, Instant-Messager- oder E-Mail-Diensten wechselte, musste damit rechnen, dass Zugangsdaten unverschlüsselt weitergegeben werden.
Warum ist es so schwierig, bei Facebook auszusteigen? Die Abfrage „Wie lösche ich meinen Facebook-Account?“ ist nicht umsonst eine der häufigsten Eingaben bei Google: Um Ihr Profil zu löschen, müssen Sie sich gestandene acht Mal durch Ihr Profil klicken. Arbeiten Sie sich am besten vom „Hilfebereich“ über die Kontoeinstellungen vor zum Unterpunkt „Ich möchte mein Konto dauerhaft löschen“. Loggen Sie sich danach 14 Tage lang nicht ein, ist der Account unwiderruflich gelöscht.
Wie reagieren die Facebook-Macher? Bisher hielt Mark Zuckerberg an den Datenschutzeinstellungen fest. Nun kündigte er in der „Washington Post“ an: Die Kontrolle über die Privatsphäre wird binnen Wochen vereinfacht. Anne Hund
Die AZ-Redakteure Georg Thanscheidt und Frank Müller schreiben über den Druck auf Facebook – und über ihre eigenen Konsequenzen: Sollen wir Facebook verlassen?
PRO
Facebook – das ist eine geniale Idee, bei der ziemlich viel ganz fürchterlich schief gelaufen ist. Es ist völlig okay und faszinierend, sich im Internet mit privaten Meldungen und Details zu präsentieren und so mit Freunden Kontakt zu halten – allerdings nur dann, wenn ich als User die Kontrolle darüber habe, welche Daten wer einsehen kann. Und genau dagegen hat Facebook verstoßen.
All- und eigenmächtig haben die Facebook-Herren die Privatsphären-Einstellungen geändert – Daten von Mitgliedern fanden sich plötzlich für alle sichtbar im Netz wieder. Wer das nicht wollte, musste es selbst ändern. Wer’s nicht mitbekommen hat – wie Gründer Zuckerberg selbst – zeigte weltweit seine Privatbilder.
Als Profil-Daten an Werbekunden übermittelt wurden und Facebook alle Telefonnummern vonmeinem iPhone einspeisen wollte, habe ich die Notbremse gezogen: Ich bin ausgetreten - machen Sie’s doch auch!
CONTRA
Klar, flüchten kann man immer: aus der Heimatstadt, der Familie, dem Land, dem Freundeskreis. Nur: Wer sich dadurch nicht vor allem selbst bestrafen möchte, der sollte wissen, wo er hin will. Daran krankt der ganze Facebook-Protest.
Es gibt derzeit auf der Welt schlicht kein angenehmeres und leichter handhabbares System, um seine Freundschaften online zu pflegen. Genau deshalb ist Facebook momentan ja auch das erfolgreichste Online-Projekt der Welt.
Schon recht: Facebook hat auch ein paar Macken. So wie jeder Freundeskreis. Doch der ganze Stress um Privatsphäre und Datenschutz ist ein ziemlich kleiner Nebenkriegsschauplatz, gemessen an den gigantischen Vorteilen von Facebook. Teil eines weltweiten Netzwerks zu sein – das ist die Mobilität des 21. Jahrhunderts. Der Protest dagegen erinnert mich eher an Sitzblockaden- Romantik der Achtziger. Liebe Aussteiger, wir sehen Euch wieder. Online!