Experte: „Eine Ehefrau kann die Depression nicht heilen“
Robert Enke wollte seine Krankheit unbedingt geheimhalten. „Wir kennen das“, sagt Ulrich Hegerl, Direktor der Poliklinik für Psychiatrie der Uni Leipzig. „Die Kranken sind stigmatisiert, weil noch viel zu viel Unwissenheit besteht“, sagt er.
„Die meisten haben das Vorurteil, dass das eine Krankheit der Schwachen ist. Was aber in keiner Weise zutrifft. Depressive sind im gesunden Zustand oft besonders Leistungesbereite und verantwortungsvolle Menschen.“ Aufklärung hält Hegerl deswegen für notwendig – ja sogar für lebensrettend. Denn viele lassen sich nicht behandeln – auch aus Scham.
Vier Millionen Menschen leiden in Deutschland an Depressionen. Experten rechnen damit, dass zwei Drittel davon nicht zum Arzt gehen – besonders Männer. Doch jede nicht oder schlecht behandelte Depression ist „ein echter Risikofaktor für Rückfälle, einen chronischen Verlauf und gegebenenfalls auch für Suizid“, sagt der Münchner Psychiater Florian Holsboer, der auch Sebastian Deisler behandelt hat. 9331 Menschen haben sich 2008 selbst getötet, drei Viertel davon waren Männer. Laut Experten stecken hinter einem Großteil Depressionen.
Die Depression geht mit einer Stoffwechsel-Erkrankung im Gehirn einher. Depressive nehmen sich und die Umwelt anders wahr: Schlaflosigkeit, Appetitmangel sind typisch und vor allem das Fehlen jeglicher Freude. Die Betroffenen sind niedergeschlagen und verzweifelt. „Eine Depression kann jeden treffen“, sagt Experte Hegerl. Oft gibt es keinen bestimmten Auslöser. Manchmal sind es Einschnitte im Leben wie Trennungen oder der Verlust eines Menschen, manchmal aber auch positive Erlebnisse wie eine Beförderung.
Mit Medikamenten und Psychotherapie werden die Patienten behandelt. Bei der Mehrheit kommt die Depression auch nach erfolgreicher Behandlung wieder. „Eine Depression ist nicht zu vergleichen mit Traurigkeit oder auch der normalen Trauer um einen verlorenen Menschen. Depression ist eine schwere Krankheit“, sagt Hegerl. Bei Robert Enke war sie tödlich.
Viele Depressive haben Selbstmordgedanken, der Tod erscheint manchen in ihrer Verzweiflung als regelrechte Erleichterung. Hans Doll, Geschäftsführer der Münchner Beratungsstelle „Die Arche“, in der Suizidgefährdete und deren Angehörige beraten werden, spricht von drei Phasen der Suizidalilät. In Phase eins zieht jemand in Erwägung, sich das Leben zu nehmen. Von Phase zwei sprechen die Experten, wenn jemand beginnt, zwischen Leben und Tod abzuwägen und zwischen den Polen schwankt. In Phase drei wird der Entschluss gefasst. „Oft vergehen zwischen dem Entschluss und der Tat nur wenige Tage“, erklärt Doll. „Womöglich hat Robert Enke letzte Woche noch nicht gewusst, ob er es tut. In einem Moment, in dem die Depression besonders schlimm ist, fällt dann die Entscheidung.“
Aus Gesprächen mit Menschen, die einen Suizidversuch überlebt haben, weiß Doll, dass in dieser Extremsituation oft selbst der Gedanke an Frau und Kinder weg ist. Enke hat sich in einem Abschiedsbrief entschuldigt, war sich offenbar seiner Verantwortung bewusst. „Aber das andere ist in dem Moment stärker“, sagt Doll.
Angehörige können Depressive unterstützen, begleiten. „Wer weiß, vielleicht wäre Robert Enke schon früher gestorben, wenn er die Liebe seiner Frau nicht gehabt hätte“, sagt Doll. „Aber eine Ehefrau kann die Depression ihres Mannes nicht heilen.“ Tina Angerer
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