Erdbeben in Italien: 207 Tote und drei Wunder

Viele sind tot, etliche verletzt, ein paar noch vermisst: Doch es gibt auch gute Nachrichten aus Abbruzen - die Geschichte der spektakulären Rettungen inmitten der Erdbeben-Katastrophe von L'Aquila.
L’AQUILA Es ist eine gespenstische Szenerie: Auf Kommando verstummt für einen kurzen Moment das Dröhnen der Bagger, die Rufe der Männer. Alle halten inne, vor dem riesigen, von Scheinwerfern beleuchteten Trümmerberg in L’Aquila. Dann zieht einer ein Handy aus der Tasche, wählt eine Nummer – und alle warten atemlos auf ein Klingeln aus dem Schutt. Mehr als zwei Dutzend Überlebende konnten über ihren Handy-Klingelton geortet werden.
Auch die 24-jährige Studentin Marta aus der Provinz Teramo. Sie wird in der Nacht zum Dienstag aus ihrem Haus in der Via Sant’Andre gezogen – sie lebt. Ihre schwarzen Haare sind mit Staub verklebt, fallen auf ihre Schultern, sie hat Tränen in den Augen. Die umstehenden Retter applaudieren und jubeln, während fünf Männer sie vorsichtig aus den Trümmern heben.
Berlusconi ordnete weitere 48 Stunden Suche an
Marta wurde auf ihrem Bett gefunden – ein schwerer Zementbalken lag nur zwanzig Zentimeter von ihrem Kopf entfernt. Kurz zuvor wurde ihr Nachbar, der 22-jährige Matteo, aus einer darüberliegenden Trümmerschicht geborgen. Es sind unglaubliche Geschichten wie diese, die die Retter in L’Aquila immer weiter graben lassen. Die nächsten 48 Stunden lang soll auf jeden Fall weiter gesucht werden, ordnete Italiens Regierungschef Silvio Berlusconi an. Gestern Nachmittag dann noch eine gute Nachricht: In Tempera bei L’Aquila finden die Helfer eine 98-jährige Frau lebend und kaum verletzt in ihrem eingestürzten Haus. „Ich wusste, dass jemand kommen würde“, sagt Maria D’Antono anschließend. „Ich habe in der Zwischenzeit gehäkelt.“
Doch bei allen Hoffnungsschimmern: Die schlechten Nachrichten überwiegen. Insgesamt 207 Menschen sind bei dem schweren Erdbeben in den Abruzzen ums Leben gekommen, 17 Leichen müssen noch identifiziert werden. 17000 Menschen haben ihr Zuhause verloren.
Die meisten der Obdachlosen sind in Zeltstädten untergebracht oder in Auffanglager an der Adria gefahren worden. Heftige Nachbeben versetzen die Überlebenden außerdem immer und immer wieder in Angst und Schrecken.
In L'Aquila stürzte die Außenwand einer Kirche ein
Völlig unklar ist auch der kulturhistorische Schaden, der in der mittelitalienischen Region entstanden ist. In L’Aquila stürzte die Außenwand einer Kirche aus dem 13. Jahrhundert und der Glockenturm einer Renaissance-Kirche ein.
Doch all das ist im Moment zweitrangig, jetzt geht es um das Leben der Vermissten. Ganz in der Nähe des Hauses, in dem Marta gefunden wurde, steht an diesem Abend noch ein Ehepaar. Mit einer Decke über den Schultern starren sie auf den Trümmerberg. „Unsere Tochter ist noch da drin“, sagt die Mutter mit tonloser Stimme. „Bitte, bitte, zieht sie raus.“
zo