Eine Wand aus Feuer

Bei der Durchfahrt durch den Bahnhof der toskanischen Stadt entgleist ein Güterzug. 30 Kubikmeter Flüssiggas explodieren, 16 Menschen sterben, fünf Häuser stürzen ein
Alessandro del Lupo wohnt an den Gleisen. Er hat beste Sicht auf die Züge, die durch Viareggio fahren. Und er sah das Unglück als Erster kommen: „Da kam eine weiße Wolke,“ sagt er. „Ich wusste nicht, dass es Gas war. Dann wurde sie zu Feuer“, erzählt er sichtlich geschockt: „eine 200 Meter hohe Wand aus Feuer“.
Kurz vor Mitternacht war der Güterzug mit 14 Waggons durch die schöne Stadt an der toskanischen Küste gefahren. Mit 90 Stundenkilometern, sagte ein Bahnsprecher: „vorschriftsmäßig“. Trotzdem entgleiste in der Höhe des Bahnhofs einer der Waggons, gefüllt mit Flüssig-Gas: rollende Bomben mit jeweils 30 Tonnen Flüssiggas. Ein Tank riss auf und löste das Inferno in der Innenstadt aus.
Fünf Häuser im Umkreis von 300 Metern stürzten ein, zehn Gebäude wurden schwer verbrannt: In den Häusern starben sieben Menschen, darunter ein Kind. Sie wurden im Schlaf von den Flammen überrascht. Ein Polizeisprecher im nahen Lucca sagte, die Leichen seien nicht oder nur sehr schwer zu identifizieren. Insgesamt wurden 16 Menschen nach vorläufiger Bilanz getötet, 35 weitere Menschen erlitten schwere Verbrennungen, insgesamt wurden 50 Menschen verletzt. Befürchtungen, dass unter den Opfern wartende Touristen am Bahnhof sind, haben sich bislang nicht bestätigt. Noch immer suchen Rettungskräfte nach Vermissten. Laut der Nachrichtenagentur Ansa bargen Feuerwehrleute am Morgen drei Kinder lebend aus eingestürzten Häusern.
Es gab drei Explosionen
Manche der Häuser brachen zusammen, als die entgleisten Waggons in die Wände fuhren. Zig Tonnen schwere Loks wurden durch die Kraft der Explosion aus den Gleisen geworfen. Etwa 1000 Menschen mussten ihre Häuser verlassen und verbrachten die Nacht in Notunterkünften. Ihre Häuser werden sie bis auf weiteres nicht betreten können. Sie sind schwer einsturzgefährdet.
„Es gab drei Explosionen“, sagen Augenzeugen wie Gianluca Bini. „Wir haben lautes Grollen gehört, insgesamt drei Mal, wie Bomben. Es war, als ob Krieg ausgebrochen sei.“ Den ganzen Tag kühlte die Feuerwehr die übrigen Waggons, wegen der Hitze bestand akute Explosionsgefahr. Im nächsten Schritt soll das Gas aus den Waggons abgepumpt werden. Wegen der Gefährlichkeit des Ladeguts waren auch ABC-Schutzkräfte im Einsatz.
Vorwürfe der Eisenbahngewerkschaften
Die Unglücksursache war vermutlich technisches Versagen. Ein Achsbruch gilt als wahrscheinlicher Auslöser. Auch ein Bremsversagen oder ein Schaden an den Gleisen wurde diskutiert. Die beiden Zugführer überlebten leicht verletzt. Sie berichteten im Krankenhaus von einem leichten Ruck und einem Aufprall vor der Explosion.
Die italienische Eisenbahnergewerkschaft warf der Staatsbahn vor, Achsbrüche und ähnliche Vorfälle in der Vergangenheit nicht ernst genommen zu haben. „Das schreit nach einer rigorosen Untersuchung.“ Die Waggons gehörten allerdings der US- Leasing-Gesellschaft ATX. Die wollte sich zur Unglücksursache nicht äußern.
"Die Gefahr ist nicht vorüber"
Italiens Zivilschutzchef Guido Bertolasi sprach von einem der verheerendsten Unglücke der italienischen Geschichte: „Die Gefahr ist nicht vorüber“ sagte er. „Noch sind da 13 Wagen mit Gas, davon vier umgekippt. Eine hochgefährliche Situation.“ Am Nachmittag wollte Ministerpräsident Silvio Berlusconi am Unfallort erscheinen.
Der Zug war von La Spezia unterwegs nach Pisa. Viareggio liegt an einer viel befahrenen Strecke. Nach der Explosion kommt es in der Toskana zu Behinderungen für Bahnreisende.
Matthias Maus