Eine Maus für die Katz?

Seit 80 Jahren ist Micky auf der Comic-Welt– und gehört spätestens jetzt ins Altersheim. Selbst Disney-Fans finden ihn altklug und nervig
von  Abendzeitung
Strahle-Maus: Mickey in typischer Pose.
Strahle-Maus: Mickey in typischer Pose. © AP

Seit 80 Jahren ist Micky auf der Comic-Welt– und gehört spätestens jetzt ins Altersheim. Selbst Disney-Fans finden ihn altklug und nervig

Senioren, zumal jene mit schwarzer Hautfarbe, darf man eigentlich nicht beleidigen. Aber im Fall von Micky Maus, die heute 80 wird, sollte, nein muss man eine bedeutende Ausnahme machen. Zu nervig ist sie einfach. Diese Saubermaus, der seit Jahrzehnten einfach alles gelingt, was sie in ihre behandschuhten Pfoten nimmt. So brav, bieder und unlustig, das Florian Silbereisen gegen sie fast wie ein Revoluzzer wirkt. Wolfgang Schäuble wie ein Humorist. Und Carolin Reiber wie ein Vamp. Diese strichgewordene Sekundärtugend, dieser Klugschwätzer, wie er im Comicbuche steht. Uff! Ächz! Würg! Stöhn!

„Micky Maus hat ein Imageproblem“, sagt Thomas Knieper, Entenhausen-Experte und Professor für Kommunikationswissenschaft an der Universität Braunschweig. „Ein langweiliger Charakter, da er immer auf der Gewinnerseite steht und zur Besserwisserei neigt.“ Selbst unter Disney-Jüngern ist der Nager schlecht beleumundet, in Internet-Foren läuft seit Jahren eine regelrechte Mäusejagd.

Ursprünglich gewitzt und anarchisch

„Besonders die neueste Generation von Lesern beurteilt die Figur kritisch“, schreibt Kenner Marcel Lorenz auf splashcomics.de. Der Detektiv, den Micky meist verkörpert. erscheine „altklug, altbacken und zu perfekt“. Jeden Fall könne Mickey durch seinen „offenbar unfehlbaren kriminalistischen Spürsinn im Nu lösen“. So spannend wie das Sortieren eines Werkzeugkastens. „Belanglos und durchschaubar", sagt auch Knieper. Manche Fans fordern gar die komplette Streichung der Micky-Geschichten („Zisch ab, Micky!“) aus dem „Lustigen Taschenbuch“, wollen die Maus dem verdienten Ruhestand überantworten.

Dabei war Micky, die über 70-Jährigen werden sich erinnern, mal ganz anders: Am 18. November 1928 erblickt er im Zeichentrickfilm „Steamboat Willie“ das Licht der Leinwand – und revolutioniert das Genre: gewitzt, anarchisch und amoralisch trumpft die Maus auf, hat Respekt vor nichts und niemandem. Packt Minnie – die später zur Comic-Eva-Herman mutierte – per Kran an ihrem Schlüpfer und verlädt sie in sein Boot. Spielt mangels Musikinstrument mit den Schwänzen, Zähnen und Zungen der mitgeführten Tiere ein Lied. Ein Verhalten, über das der spätere Micky wohl nur die Nase rümpfen würde.

Ähnliches Schicksal wie Superman

Aber was hat Micky korrumpiert? Antwort: Der Erfolg, wieder einmal. Er avanciert zum Markenzeichen des Disney-Konzerns – und darf sich fortan nur vorbildlich geben. „Micky muss immer süß und lieb sein. Was kann man mit so einem Star schon anfangen“, soll es sogar Walt Disney entfahren sein.

Im Zweiten Weltkrieg wird seine Schöpfung im Propgandakrieg gegen Hitler eingesetzt, kann sich nun erst Recht keine Schwächen mehr erlauben. Ein Schicksal, das an eine andere Comicfigur erinnert: an Superman. Auch dieser hatte als Strahle- und Saubermann seine Hochphase in den 40er Jahren – und muss heute den Luftraum anderen überlassen, gebrochenen Helden wie Spider- oder Batman.

Entenhausens Batman heißt Donald und hat als Underduck definitiv der Maus den Rang abgewatschelt. Sogar Peter Höpfner, Chef des seit Jahren kriselnden „Mickey-Maus-Magazins“, räumt ein, dass Donald „per se die beliebtere Figur“ sei. Er liefere „eine größere Projektionsfläche für Empathie“, sagt Experte Knieper. „Erinnert ans eigene Leben.“

Forscher lassen die Oberflächen-Ikone links liegen

Das finden auch die „Donaldisten“, eine Vereinigung, die sich wissenschaftlich mit Entenhausen beschäftigt, zum Beispiel die Genetik und Meteorologie der fiktiven Stadt analysiert, oder die Psyche ihrer Bewohner. Micky lassen sie dabei links liegen. „Zu eindimensional“, begründet „PräsidEnte" Christian Pfeiler knapp. „Mickyisten“ gibt es keine. Was gäbe es über die Oberflächen-Ikone auch zu erforschen?

Um wenigstens den Vorwurf des Altklugen zu entkräften, wagten die Micky-Macher vor fünf Jahren ein Experiment – und schufen das „Kasperl“, eine „schwachsinnige Witzfigur“, ein „chaotisches Kleinkind“, wie erboste Fans im Internet schreiben. Der Verlag kehrte reumütig zum seriösen Micky zurück.

Zu spät. Unter Comic-Kennern hat sich längst die Abkürzung „TAFKAMM“ eingebürgert. Formuliert bedeutet das: „The Artist formerly known as Mickey Mouse“. Seufz!

Timo Lokoschat

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