Eine Kernschmelze lässt sich nicht stoppen

Wie gefährlich ist Atomkraft? Und welche Schäden richtet die Strahlung an?
Tokio - Das Atom-Unglück in Japan versetzt die Welt in Angst. Was die Menschen besonders verunsichert: Radioaktivität riecht und sieht man nicht. Wo liegen die Gefahren? Und was geschieht eigentlich in Atomkraftwerken? Die AZ beantwortet die wichtigsten Fragen.
Wie funktionieren AKW überhaupt? Sie nutzen das Prinzip der Kernspaltung. In jedem Atom ist Kernenergie gespeichert. Beschießt man ein Atom mit einem Neutron, fliegt – sehr vereinfacht gesagt – der Atomkern auseinander. Dabei entsteht Energie in Form von Wärme. Außerdem werden wieder Neutronen frei, die auf andere Atome treffen. Eine Kettenreaktion ist in Gang. Als Material für die Kernspaltung wird meistens Uran benutzt. Das Uran befindet sich in den so genannten Brennstäben.
Was ist ein Siedewasserreaktor? Hier sind die Brennstäbe von Wasser umspült. Das Wasser nimmt die Wärme auf, verwandelt sich in Dampf und treibt damit eine Turbine an – Strom entsteht. Nachteil: Der Dampf ist radioaktiv. Anders arbeiten Druckwasserreaktoren: Hier gibt das Wasser über Wärmetauscher seine Wärme an einen zweiten, unabhängigen Kreislauf ab – erst dort verwandelt sich das Wasser in nicht-radioaktiven Dampf.
Kann man Atomkraftwerke ausschalten? Theoretisch geht die Kettenreaktion so lange weiter, so lange es spaltbares Material gibt. Man kann die Reaktion aber unterbrechen, indem man zum Beispiel „Steuerstäbe” dazwischenschiebt oder die Brennstäbe aus dem Reaktor fährt. Aber auch danach müssen die Stäbe permanent gekühlt werden, weil sie noch extrem viel Restwärme abgeben. Genau das ist das Problem in Fukushima: Durch Tsunami und Erdbeben ist die Stromversorgung zusammengebrochen, die Kühlsysteme funktionieren nicht mehr.
Was passiert bei einer Kernschmelze? Der Reaktorkern wird total zerstört: Zum einen wird das Wasser im Reaktor durch die fehlende Kühlung immer heißer, es wird zu Dampf, der Druck steigt – eine Explosion droht. Zum anderen beginnen die Brennelemente, von oben nach unten abzu- schmelzen – weil kein Wasser sie mehr bedeckt. Die Stäbe verbacken zu einer gefährlichen Lava: Einer mehr als 2000 Grad heißen Masse aus Stahl, Uran und hochgefährlichen Spaltprodukten.
Stoppen lässt sich eine Kernschmelze nicht. Das schwere Material sinkt zu Boden – und frisst sich durch alles hindurch, auch durch Stahl und Beton – bis ins Erdreich. Dann hilft auch der Reaktor-Druckbehälter nicht mehr – der in Fukushima intakt geblieben sein soll.
Was sind die Folgen für die Menschen? Wenn Radioaktivität durch die Luft entweicht oder als Regenwolke (so genannter Fallout) abregnet, werden die Menschen verstrahlt. Konkret führt die Strahlung dazu, dass Körperzellen sich nicht mehr teilen können. Genau diesen Mechanismus macht man sich zum Beispiel bei Krebspatienten zu Nutze, die man bestrahlt und so verhindern will, dass Tumorzellen sich weiter teilen. Im gesunden Körper führen die Strahlenschäden zu Symptomen wie schweren Verbrennungen der Haut, Durchfall, Haarausfall am ganzen Körper sowie Blutungen in Mund, Haut und Nieren. Spätfolgen sind die Veränderung des Erbguts (nahe Tschernobyl werden immer noch Kinder mit Missbildungen geboren), Unfruchtbarkeit und Krebs. Außerdem reichern sich radioaktive Stoffe wie Jod 131 und Cäsium 137 in Pilzen, Pflanzen und Tieren an – manche über Jahre.