Interview

"Eine Diät für den Kopf": Wie man vom Wollen ins Machen kommt

Autorin Julia Reichert erklärt im AZ-Interview, wie wir mit unserem Gehirn umgehen sollten, um Dinge, die man sich vorgenommen hat, auch einhalten und Veränderungen herbeiführen zu können.
von  Ulrike Kremer
Seine Motivation und Produktivität steigern – auch dafür gibt's Tipps. (Symbolbild)
Seine Motivation und Produktivität steigern – auch dafür gibt's Tipps. (Symbolbild) © imago/Ikon Images

München - AZ-Interview mit Julia Reichert: Die Münchnerin (28) hat Germanistik und französische Philologie studiert, bevor sie sich in Spanien der Neurowissenschaft der Sprache widmete. Dies inspirierte sie zu ihrem gerade erschienenen Buch "Hirn To Go - Was wir von listigen Hirnforschern und smarten Prostituierten lernen können" (Ueberreuter Verlag, 17 Euro). Darin erläutert sie unterhaltsam und anschaulich, wie wir bewusst Einfluss auf unser Denken und Handeln nehmen können.

Julia Reichert.
Julia Reichert. © ho

AZ: Frau Reichert, wir haben Anfang März - und viele Menschen haben ihre Neujahrsvorsätze längst über Bord geworfen. Haben Sie eine Erklärung?
JULIA REICHERT: Neujahrsvorsätze funktionieren wie eine Ausrede, denn meistens lassen wir es in der Zeit davor nochmal richtig krachen, schlemmen oder rauchen ausgiebig, so dass es uns zum Stichtag umso schwerer fällt, damit aufzuhören. Grundsätzlich sind wir aber alle in der Lage, unsere Vorsätze zu verwirklichen, sofern wir es wirklich wollen. Nur fällt der Moment des "Wollens" leider so gut wie nie auf den 1. Januar. Mein Vorschlag ist deshalb, sich einfache Dinge vorzunehmen, zum Beispiel mehr lesen oder Zeit mit Freunden verbringen. Das kann ich deutlich leichter umsetzen als regelmäßiges Joggen - und ich habe schnell Erfolgserlebnisse, die zum Weitermachen motivieren.

"Morgens einen anderen Weg zur Arbeit zu nehmen - das hilft"

In Ihrem gerade erschienenen Buch "Hirn To Go" erklären Sie das Lernen von Neuem zum Jungbrunnen für unser Gehirn. Was hilft dabei, neue Vorhaben anzupacken?
Mein Tipp ist auch hier, klein anzufangen. Wenn ich zum Beispiel eine neue Sprache lernen möchte, ist das ein großes Vorhaben, und die Umsetzung fällt im Alltag schwer. Man kann stattdessen zunächst damit beginnen, morgens einen anderen Weg zur Arbeit zu nehmen. Auch das hilft, den Horizont zu erweitern, Neues zu entdecken und neugierig zu werden. Wenn man bei diesen kleinen Veränderungen merkt, dass es funktioniert oder sogar guttut, dann traut man sich eher an die größeren Projekte ran.

Warum scheitern viele oft selbst an der Umsetzung einfacher Ziele wie der regelmäßigen Rückengymnastik nach dem Bandscheibenvorfall?
Zunächst sollten wir uns fragen, was wir wirklich wollen und was uns beim Erreichen dieses Zieles möglicherweise im Weg stehen könnte. Dann ist es wichtig, Routinen in den Alltag einzubauen, denn die braucht unser Gehirn als Gewohnheitstier. Außerdem sollte man auch die kleinen Erfolge feiern und nicht enttäuscht sein, wenn man mal vom Plan abweicht. Wir brauchen die Erkenntnis, um ins Tun zu kommen - das kann auch bedeuten zu erkennen, dass ich einfach nicht ohne meine tägliche Ration Schokolade sein kann. In dem Fall sollten wir uns das weiterhin - in geringeren Dosen - gönnen. Nur so hält man durch.

Wie finde ich heraus, was mein eigener Antrieb ist und nicht ein gängiges Ideal?
Am besten, indem wir uns von allem, was uns im Alltag ablenkt und bestimmte Bilder vermittelt, fernhalten und eine Auszeit gönnen. Ich bin ein großer Fan von Digital Detox. Denn wenn wir viel Zeit auf Social Media verbringen und uns der Algorithmus immer wieder sehr schöne Menschen vorstellt, ist es ganz normal, dass unser Gehirn auch diesen Wunsch formt. Sind wir aber allein und ohne Handy in der Natur unterwegs, verlieren uns beim Betrachten eines Bachlaufes in Gedanken, dann ist das wie eine Diät für den Kopf. Frei von äußeren Einflüssen spüren wir, was uns wirklich wichtig ist. Ich rate, ohne konkrete Idee zu solchen Auszeiten aufzubrechen. Die Inspiration kommt, wenn man an nichts denkt und loslässt.

"Ziele nie negativ formulieren - und keine To-do-Listen schreiben"

Wie sollte ich mein Ziel definieren, um es im Gehirn zu verorten und erfolgreich umzusetzen?
Zwei Sachen sind wichtig: Ziele dürfen erstens nie negativ formuliert werden, denn dann kann unser Gehirn sie nicht lesen. Immer positiv. Außerdem: Keine To-do-Listen schreiben. Mit dem Aufschreiben suggerieren wir unserem Gehirn, etwas sei schon erledigt, was die Umsetzung noch schwerer macht. Die wichtigen Dinge bleiben auch so im Kopf. Wenn ich wirklich eine neue Sprache lernen will, dann überlege ich morgens schon, bei welchen Gelegenheiten ich Vokabeln lernen kann. Wegweiser ist die Motivation. Wenn mir die Motivation zum Joggen immer wieder fehlt, ist es vermutlich nicht das Richtige, aber dann gibt es vielleicht etwas anderes, was besser passt - Tennis oder Schwimmen. Das muss man einfach ausprobieren.

Was läuft schief, wenn ich nach mehreren Wochen gesunder Ernährung doch wieder zum ungesunden Snack greife?
Unser Gehirn ist leider ein Faultier. Es ist paradox, denn einerseits sind wir von Beginn an darauf angelegt, immer mehr wissen zu wollen. Deswegen lieben wir das Internet, weil unser Gehirn schnell neue Informationen bekommt. Andererseits ist unser Kopf sehr bequem und möchte möglichst energiesparend ans Ziel kommen. Daher stehen wir so auf Süßigkeiten, weil das - genau wie das Prinzip Google - sofortige Belohnung garantiert. Uns fehlt der Antrieb, langfristig auf ein Ziel hinzuarbeiten. Geduld ist aber sehr wichtig, um neue Gewohnheiten zu etablieren. Leider kommt sie uns in dieser schnelllebigen Zeit immer mehr abhanden.

"Unser Gehirn ist leider ein Faultier" - und doch lässt es sich lebenslang trainieren. Manchmal sollte man damit klein anfangen.
"Unser Gehirn ist leider ein Faultier" - und doch lässt es sich lebenslang trainieren. Manchmal sollte man damit klein anfangen. © imago images / Ikon Images

"Es ist wichtig, sich mehrmals täglich ans Vorhaben zu erinnern"

Welche Strategien kann ich einsetzen, um dauerhaft am Ball zu bleiben?
Ich finde es spannend, in welchem Maß Visualisierung uns beim erfolgreichen Erreichen von Zielen helfen kann. Es gibt eine Studie von Sportlern, die zeigt, dass diejenigen, die sich ihren Wettkampf und ihren Erfolg gedanklich schon vorgestellt hatten, erfolgreicher abschnitten. Unser Gehirn unterscheidet nicht zwischen Vorstellung und Realität. Auch fremde Kulturen arbeiten mit Bräuchen und Symbolen zur Visualisierung. Es ist wichtig, dass wir uns mehrmals täglich an unser Vorhaben erinnern, um den Fokus darauf im Bewusstsein zu halten.

Wie lange dauert es, neue Gewohnheiten zu schaffen?
Etwa drei bis vier Monate bei täglicher Übung. Mit den richtigen Bedingungen geht es leichter. So kann ich abends schon mein Handy ausmachen, um morgens nach dem Aufwachen nicht als erstes drauf zu schauen, sondern erst in Ruhe meinen Kaffee zu trinken. Es kann auch helfen, sich einen eigenen Raum einzurichten oder Dinge erst mal in einer Gruppe anzupacken. Wenn wir wissen, jemand wartet auf uns oder wenn wir für etwas Geld bezahlen, können wir unser Faultier im Kopf leichter überreden.

"Wir müssen uns ständig selbst veräppeln, um ans Ziel zu kommen"

Ich las kürzlich von einer Wissenschaftlerin, die ihren ständigen Heißhunger auf Kekse zügelt, indem sie die Packung in das Tiefkühlfach legt. Sinnvoll oder Quatsch?
Das ist schlau, schon allein deswegen, weil sie sich mit ihrem eigenen Konsumverhalten auseinandersetzt, aber auch weil unser faules Gehirn schnell befriedigt werden will. Bis es aber den aufgetauten Keks bekommt, nimmt es vorher lieber den Apfel, der schon da liegt. Man kann sagen: Wir müssen uns ständig selbst veräppeln, um ans Ziel zu kommen.

Ihr Rat bei Rückschlägen?
Liebevoll mit sich umzugehen. Versetzen Sie sich dafür in die Position der besten Freundin und überlegen, was wir ihr in dieser Situation sagen würden. Mit Freunden sind wir sehr verständnisvoll, während wir mit uns selbst schnell hart und verurteilend sein können. Außerdem gibt es immer auch etwas Positives, das man als Lehre für sich mitnehmen kann. Und, ganz wichtig: Dinge in Relation setzen, die Welt geht ja in der Regel nicht unter. Das hilft, weiterzumachen.

Welche Empfehlung haben Sie für AZ-Leser, die in der Fastenzeit doch nochmal einen Anlauf nehmen wollen, auf Alkohol oder Süßes zu verzichten?
Unbedingt machen! Ich finde das Prinzip der Fastenzeit gut, denn es schärft das Bewusstsein im Hinblick darauf, was man konsumiert und wo es eventuell zu viel ist. Das können ganz unterschiedliche Dinge sein, zum Beispiel Fernsehkonsum oder eben Süßigkeiten. Im Gegensatz zu den Neujahrsvorsätzen handelt es sich um einen begrenzten Zeitraum, so dass wir uns ohne allzu großen Druck ausprobieren können. Danach kann man leichter und vor allem bewusster entscheiden, ob man dauerhaft mit dem Vorhaben weitermachen möchte oder nicht. Also in jedem Fall ein Gewinn.

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