Eindeutig zweideutig: Lady Gaga und die Sache mit dem Penis

Ist Lady Gaga ein Mister Gaga? Ob Wahrheit, PR-Gag oder Medien-Ente: Fest steht, dass alleine in Deutschland bis zu 800.000 Menschen leben, die tatsächlich Mann und Frau zugleich sind
von  Abendzeitung

Ist Lady Gaga ein Mister Gaga? Ob Wahrheit, PR-Gag oder Medien-Ente: Fest steht, dass alleine in Deutschland bis zu 800.000 Menschen leben, die tatsächlich Mann und Frau zugleich sind

Penis! Ganz ehrlich, normalerweise gelangen die meisten Leser von abendzeitung.de durch Suchbegriffe wie „Schweinegrippe“, „Ribéry“ und „Horst Seehofer“ auf unsere Seite. Doch gestern kam es anders: Der „Penis“ war der Renner – in Kombination mit „Lady Gaga“.

Die Ursache ist, dass sich um die Sängerin Gerüchte ranken, denen zufolge sie eventuell ein primäres männliches Geschlechtsmerkmal unterm Minirock trägt. Und das sorgt nicht nur auf abendzeitung.de für harte Debatten: „Geniale Selbstvermarktung. Egal ob Fake oder Zwitter, jeder redet drüber!“, schreibt „walterw“. „Das ist nicht PR, sondern die Wahrheit“, meint „edade“. „Warum zum Teufel ziehen diese Promis keine Unterwäsche an?“, sorgt sich „Jezabel“.

Jeden Tag kommen in Deutschland zwei Zwitter auf die Welt

Was auch immer dran ist an den (angesichts der Quellenlage eher unglaubwürdigen) Spekulationen – sie lenken die öffentliche Aufmerksamkeit auf ein Phänomen, über das normalerweise nur getuschelt, aber nicht gesprochen wird: auf Hermaphroditen oder Zwitter, wie es umgangssprachlich heißt. Ein Tabuthema. Und das, obwohl jeden Tag in Deutschland zwei Kinder geboren werden, bei denen nicht eindeutig feststeht, ob sie männlich oder weiblich sind. Ärzte und Hebammen stehen dann vor einem Rätsel, tragen bei „Geschlecht“ zunächst ein Fragezeichen ein.

Wie viele Zwitter in Deutschland leben, lässt sich nur grob schätzen. Die Zahlen schwanken zwischen 30000 und 800000. Das liegt vor allem daran, dass der medizinische Sammelbegriff „Intersexualität“ für eine Vielzahl von Diagnosen stehen kann: für Frauen ohne Gebärmutter oder mit Penis. Männer mit Brüsten oder ohne Bartwachstum und Stimmbruch. Zum Beispiel. Oft wissen die Betroffenen selber nichts davon. Gewissheit kann nur eine ausführliche körperliche Untersuchung einschließlich Chromosomenanalyse bringen.

Bartwuchs und Beine wie Marilyn Monroe

Am Anfang sind wir ohnehin alle Zwitter: Doch auf dem Weg vom neutralen Fötus zu Frau oder Mann kommt der Natur manchmal etwas dazwischen. Chromosomen fehlen oder sind überzählig, Enzyme versagen, Hormone fallen aus.

Wie bei Jutta Ulrike Eichmann (55), genannt „JJ“, die in der Münchner Volkartstraße mit ihrer Ehefrau Anita das angesagte Geschäft „Muffins ’n’ More“ betreibt. Dem äußeren Schein nach müsste man „er“ schreiben: Da sind Bartwuchs, tiefe Stimme, ein männliches Geschlechtsteil – aber eben auch ein Busen und Beine, die eher nach Marilyn Monroe als nach Götz George aussehen. Im Inneren ist sowieso „alles durcheinander“, formuliert JJ.

„Viele fragen mich, ob ich lieber Mann oder Frau wäre. Aber das geht nicht. Ich bin ein Zwitter.“ Rechtlich ist sie eine Frau. Ein Problem: „Mache ich auf Weibchen, komme ich rüber wie ein femininer Schwuler“, sagt die verheiratete JJ, halb belustigt, halb ernst, und fügt hinzu: „Rein wissenschaftlich gesehen bin ich lesbisch, das habe ich sogar schriftlich vom Max-Planck-Institut.“

Heikle Operationen bei Babys

Jahrzehntelang war es bei Zwittern gängige Praxis, sie schon als Baby oder Kind durch heikle Operationen in eine Richtung „anzugleichen“. Oft in die falsche, sagt JJ, die sich als Erwachsene gegen die OP entschied. Heute plädieren auch immer mehr Ärzte gegen eine Zwangszuweisung.

Dass Eichmann ihre weibliche Seite nicht voll ausleben kann, nimmt sie meist mit Humor: „In meinem Alter könnte ich eh keinen Minirock mehr anziehen. Aber wenn Lady Gaga ’nen Schniedel hat und damit glücklich ist, wäre das doch okay!“

Timo Lokoschat

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