Ein Prosit auf die Erderwärmung: Wein von der Waterkant

Weil die Temperaturen steigen, kann jetzt sogar auf Sylt der Rebensaft angebaut werden. Einen Namen hat er auch schon: „55 Grad Nord“
von  Abendzeitung
Bald ist es soweit: Auf Sylt kann Wein kredenzt werden, der auf der Nordseeinsel selbst angebaut wurde
Bald ist es soweit: Auf Sylt kann Wein kredenzt werden, der auf der Nordseeinsel selbst angebaut wurde © az

Weil die Temperaturen steigen, kann jetzt sogar auf Sylt der Rebensaft angebaut werden. Einen Namen hat er auch schon: „55 Grad Nord“

KEITUM Jopp Becker hat schon viele kommen und gehen sehen. „Auf Sylt gibt es jedes Jahr einen neuen Trend“, sagt der 71-Jährige. Der Jüngste: Bei Keitum stecken im sandigen Boden 1600 mit grünem Wachs überzogene Stöckchen. 1600 Weinstöcke.

„Das ist Innovation“, sagt Martin Schachner (39). Der Weinhändler wird zusammen mit dem Rheingauer Winzer Christian Ress (35) den nördlichsten Wein Deutschlands vermarkten. „Der Klimawandel macht's möglich“, sagt er.

Bisher galt als Faustregel, dass nördlich des 52. Breitengrades – also ungefähr bei Münster – die Grenze verläuft, oberhalb der Wein nicht mehr gedeiht. Die soll jetzt fallen.

Die Traube heißt Solaris - Riesling hätte keine Chance

Sylt liegt auf dem 55. Breitengrad. „Wir haben hier oben überdurchschnittlich viele Sonnenstunden, nur ist das Klima insgesamt kühler. Mit 8,3 Grad Celsius liegt die Durchschnittstemperatur auf Sylt um 1,5 Grad niedriger als etwa im Rheingau“, so Schachner. Das bedeutet einen Vegetationsrückstand von rund zwei Wochen.

Riesling oder Chardonnay hätten in diesen Breiten keine Chance. Winzer Ress setzt auf Sylt daher auf die besonders schnell reifende und robuste Rebart Solaris. Ob der Tropfen hier oben tatsächlich gedeiht und ob er dann auch noch schmeckt, bleibt abzuwarten.

Solaris gilt als eine eher charakterarme Neuzüchtung. Ein Jahrhunderttropfen ist da auch unter besten Wetterbedingungen nicht zu erwarten. Doch darüber macht sich Schachner keine Sorgen. Der Österreicher kennt seine Kunden: „Die Leute sind versessen auf alles, wo Sylt drauf steht“, sagt er.

Die Flasche wird 29,90 Euro kosten

Direkt auf dem Tresen in seiner Vinothek in Westerland stehen Weinflaschen mit schmucken Etiketten, die eine Dünenlandschaft zeigen. Österreichischer Veltliner wird da mal eben zu „Sylter Jausenwein“ und der Grauburgunder aus Baden zum „Sylter Landwein“.

Das lassen sich die betuchten Insel-Fans gerne ein paar Euro zusätzlich kosten. „Warum nicht?“, fragt Schachner. „Jörg Müller, der Sternekoch aus Westerland, verkauft auch Sylter Marmelade. Dabei kommen die Früchte ganz trivial vom Großmarkt auf dem Festland.“

Das Marketingkonzept für den Solaris ist schon fertig. „55 Grad Nord“ soll der Landwein heißen, 29,90 Euro die Flasche kosten. Das schwarz goldene Label gibt es schon, den ersten Wein wird’s 2012 geben. Nur welche Qualität die Trauben erreichen, ist noch offen. „Wie viel Öchsle der Wein hat, wissen wir erst bei der Ernte“, sagt Schachner. „Einen Wein in Spätlese-Qualität streben wir an. Aber wer weiß, wenn das mit der Erderwärmung so rasant weiter geht, vielleicht produzieren wir ja schon in ein paar Jahren eine Trockenbeerenauslese.“

Jopp Becker hat nicht viel für Wein übrig. Er bleibt beim Bier. Jever Pils, friesisch herb. „Sollen sich die andern die Erderwärmung schön trinken“, sagt er. Gaby Herzog

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