Ein Pali für alle Fälle?
Zwischen Linken und Laufsteg, Rechten und Ramsch-Ware: Das Palästinensertuch hat wieder Konjunktur. Was Käufer und Experten sagen
Wenn am Samstagabend bei „Deutschland sucht den Superstar“ der Friseur Benny Kieckhäben über die Bühne tänzelt, dann trägt er wahrscheinlich eine bunte Hose, einen Haufen Schminke, und um seinen Hals hängt spätestens backstage etwas, das aussieht wie ein Palästinensertuch. Seit den 60ern bahnt sich das Stück Stoff seinen Weg durch alle Milieus der Gesellschaft. Jetzt hat es wieder Hochkonjunktur auf Deutschlands Bühnen und Straßen – ein Kleidungsstück zwischen Linken und Lagerfeld, Rechten und Ramsch-Ware.
„Ein Schal wie das Palästinensertuch ist diese Saison das Modeaccessoire Nummer eins“, sagt Corinna Thiel, Redakteurin beim Lifestylemagazin Elle. Diesen Frühling hat es das Tuch, das irakische Bauern erfanden, sogar auf die Laufstege von Mailand und New York geschafft. „Allerdings sind die Designertücher vom Muster und den Farben her so abgewandelt, dass die Ähnlichkeit zum Palästinensertuch nicht mehr besonders groß ist.“
Dafür reicht auch schon der Blick aufs Preisschild: Die Designertücher kosten leicht ein paar hundert Euro, wenn sie – wie beim Label „Lala Berlin“, dem trendigen Laden aus Berlin-Mitte – aus Kaschmir sind. „Sie nicht nicht zu verwechseln mit den Dingern, die es in den Neunzigern für zehn Mark im Punkshop gab“, sagt Corinna Thiel. Da hatte das Palituch noch etwas von Protest, wenigstens ein bisschen, und der Käufer erwarb neben einem wärmenden Stück Stoff einen Hauch von Untergrund und Rebellion.
Es gibt sie in blau, gelb oder lila, mit Totenköpfen oder Sternen
Im Westen bekannt machte das traditionell schwarz-weiße Tuch Palästinenserführer Jassir Arafat. Es wurde zu seinem Markenzeichen, er trug es bei Fernsehinterviews oder Ansprachen. Im Zuge der Studentenproteste kam das Palituch in den 60ern nach Deutschland – damals als Zeichen der Solidarität mit der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO und als Kritik an den USA. Von da an war klar: Wer sich ein Palituch umwickelt, ist links, gegen Atomkraft und Helmut Kohl. Das blieb eine ganze Weile so.
Heute hängen die hauptsächlich in China produzierten Tücher bei H&M und C&A – und es gibt sie in den virtuellen Einkaufshäusern des Internets. Als „kultiges Tuch“ werden sie für ein paar Euro angepriesen. Viele Modelle sind in diesen Tagen schon ausverkauft. Es gibt sie in blau, gelb oder lila, mit oder ohne Fransen, bestickt mit Glitzersteinchen, bedruckt mit Totenköpfen oder Sternen.
Wer hier ein Palästinensertuch kauft, ordert, wie Empfehlungen auf den Internetseiten zeigen, auch gern den Film „High School Musical 3“, die Doppel-CD „Bravo Hits“ oder die Biografie von Rapper Bushido. Stehen Linksautonome auf Berliner Gangster-Rap? Schauen Neonazis Disney-Musicals? Eher nicht. Weiter hinten in der Liste tauchen Sturmhauben auf. Ein Indiz?
Den Linken dagegen ist ihr ehemaliges Protestsymbol inzwischen suspekt
Trotzdem: Wahrscheinlich sind die meisten Käufer Menschen wie Stefan, 20. Er trägt weite Jeans, Polohemd, weiße Turnschuhe. Und dazu ein Palästinensertuch. Das hat er seit drei Wochen. „Hab’ ich im normalen Klamottenladen gekauft“, sagt er, „für 3,99 Euro. Ich finde es stylisch und lässig, man kann es gut kombinieren.“ Dass es mit diesem Tuch irgendetwas auf sich hat, war Stefan bewusst. „Ich weiß aber nicht genau, wieso es Palästinensertuch heißt. Vielleicht, weil es die Palästinenser oft tragen“, mutmaßt er. Eigentlich ist ihm das auch egal. „Ich will damit kein politisches Statement abgeben oder so.“
Im Gegensatz zu den Rechten von heute. In Berlin, Hamburg und München baumeln bei Demonstrationen Palis an Neonazihälsen. „Die Rechte schmückt sich gern mit revolutionären Symbolen“, sagt Sozialforscher Dieter Rucht. Außerdem habe das Tuch als Zeichen des palästinensischen Widerstands eine antijüdische Bedeutung.
Den Linken dagegen ist ihr ehemaliges Protestsymbol inzwischen suspekt. Organisationen wie die „JungdemokratInnen“ versuchen seit Jahren mit dem Motto „Coole Kids tragen kein Pali-Tuch“ dem Trend entgegenzusteuern. Mit mäßigem Erfolg, wie man sieht. Selbst wenn in einem halben Jahr die Paliträger weniger werden und sich niemand mehr an Benny, den singenden Friseur erinnert – das Palästinensertuch wird bleiben. Fragt sich nur, wer es sich dann umhängt.
Christoph Landsgesell
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