Ein Mann, 575 Hochzeiten

Heiraten nach altem Brauch liegt hoch im Kurs – ein Profi der Branche zieht Bilanz. Peter Eggl erzählt von den schönsten Festen, den lustigsten Pannen – und warum er noch ledig ist.
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Schnappschuss aus Peter Eggls Fotokiste: Der Hochzeitslader (rechts neben der Braut) ist ein Zeremonienmeister, der den ganzen Tag den Überblick behält.
Thomas Gaulke Schnappschuss aus Peter Eggls Fotokiste: Der Hochzeitslader (rechts neben der Braut) ist ein Zeremonienmeister, der den ganzen Tag den Überblick behält.

Heiraten nach altem Brauch liegt hoch im Kurs – ein Profi der Branche zieht Bilanz. Peter Eggl erzählt von den schönsten Festen, den lustigsten Pannen – und warum er noch ledig ist.

Peter Eggl hat die sehnsüchtigen Worte bisher mehr als 1000 Mal gehört: „Ja, ich will.“ Nicht, dass der 56-Jährige ausWesterham im Kreis Rosenheim als Polygamist in die Geschichte Bayerns eingehen will, nein, der gelernte Schreiner ist Hochzeitslader. Und damit Zeremonienmeister traditioneller bayerischer Hochzeiten. Während der in München beliebte „Wedding Planner“ vor der Hochzeit aktiv wird, schlägt Peter Eggls Stunde erst am Tag der Hochzeit. Das war früher anders. Der Hochzeitslader verkuppelte die Paare, handelte die Aussteuer aus und lud die Gäste persönlich ein – weil’s auf dem Land oft mit der Postverbindung gehapert hat.

Peter Eggl muss das alles heute nicht mehr machen, seit 1983 ist der ruhige Mann mit dem spitzbübischen Funkeln in den Augen in der Hochzeitsbranche. Angeheuert wird er von Brauchtum-Fans im Oberland, im Raum Rosenheim und im Kreis Weilheim- Schongau. „Ich habe damals Bücher mit ,Gstanzln’ geschrieben“, erzählt Peter Eggl. „Jemand ist darauf aufmerksam geworden und meinte, die Reime seien witzig, ich solle doch seinen Hochzeitslader machen.“ Eggl sagte zu, ohne zu wissen, auf was er sich da einließ.

Das „Gwand“, eine Trachtenjoppe und die passende Hose, lieh sich der Schreiner aus, die Blasmusiker halfen dem frisch gebackenen Zeremonienmeister durchs Programm. „Es hat gut hingehauen“, sagt Peter Eggl heute. „Kleine Patzer sind keinem aufgefallen – auf der Hochzeit waren viele Preißn.“ Peter Eggls Job beginnt gegen acht Uhr morgens, wenn sich die Hochzeitsgäste beim Wirt versammeln – auf eine Suppe oder Weißwürste. Das Brautpaar kommt etwa eine Stunde später. „Das hat eh keinen Hunger, ist meistens käseweiß“, sagt der erfahrene Hochzeitslader.

Pannen

Dann stellt der Lader, der auch „Ehrvater“, „Prograder“ oder „Schmuser“ genannt wird, den Kirchenzug zusammen: Musiker, Fahnenabordnungen, Brautpaar, Verwandte und Freunde – alle in festgelegter Reihenfolge. Schon dabei gibt es ab und zu Pannen,wie bei einer Hochzeit in Schliersee: „Da waren Wirtshaus und Kirche von der Bahnlinie getrennt“, sagt Eggl. „Als der eine Teil der Gesellschaft bereits über den Gleisen war und der andere noch dahinter, ging die Schranke runter, und der Regionalzug rauschte durch.“

Ein Eitelkeitsproblem gab es bei einer Trauung, bei der das Brautpaar den örtlichen Pfarrer übergangen und einen eigenen Priester dabei hatte. „Obwohl die Kirche gebucht war, setzte der beleidigte Gemeindepfarrer eine Kirchenführung an.“ Als die 250-köpfige Gesellschaft die Kirche erreichte, musste sie 30 Minuten vor verschlossener Tür warten. „Die Mutter der Braut wollte mit dem Regenschirm auf den Pfarrer losgehen“, sagt Eggl. Aberweil er nicht nur Zeremonienmeister, sondern auch Psychologe, Diplomat und Beichtvater in einem ist, konnte er die Frau beruhigen. Anders als „bei den Preißn oder den Engländern“ wird die bayerische Braut nicht von ihrem Vater, sondern vom „Ehrvater“, also Eggl, vor den Altar geführt. In der Kirche hielten sich Pannen bisher in Grenzen: Nur einmal lief der Hund des Wirts in die Kirche und trank aus dem Weihwasserkessel – was aber alle lustig fanden. Ein „Nein“ vor dem Altar hat Eggl nie gehört.

Überhaupt, glaubt Peter Eggl, seien bayerische Ehen weit stabiler als andere. „Die Leute sind bodenständiger und oft auch mehr im christlichen Glauben verankert.“ Andererseits gibt’s natürlich auch Ausnahmen. Eins der Paare, die er bei der Hochzeit betreute, trennte sich schon nach 13 Tagen. „Sie warf seine Koffer vom Balkon und sperrte die Haustür ab.“ Und ein anderer, der schon zum fünften Mal verheiratet ist, sagt, wenn er beim Wirt das Hochzeitsmahl bestellt: „Das gleiche wie immer.“ Nach der Kirche und dem traditionellen Besuch des Brautpaars am Grab der Verwandten gratuliert die Hochzeitsgesellschaft dem Brautpaar, ehe Peter Eggl das Tischgebet spricht. Anders als ein Pfarrer aus dem Münchner Süden bemüht sich der 56-Jährige, etwas Andachtsvolleres zu sagen als: „In Gott’s Namen hau’ ma’s zamm!“

Nach dem Mittagessen wird getanzt: Damit auch alle mitmachen, fordern die „Kranzler“, oft unverheiratete Geschwister des Paares, die Gäste zum Tanzen auf. Wenn einer nicht mitmacht, kommen die Kranzler zum Hochzeitslader. „Und dann wird’s teuer“, sagt Eggl. „Wer trotz Aufforderung nicht tanzen will, muss eine Runde Schnaps für die Musiker ausgeben.“ Die Kapellen haben gerne 30 Mann und mehr, das geht schnell ins Geld. Nachmittags wird, so will’s die Tradition, ein Wein-Umtrunk eingelegt. Eggls Hauptaufgabe: Das Ehepaar nüchtern halten. Ab und zu wird dann auch die Braut „entführt“, die der Ehemann „auslösen“ muss. Nur einmal hat es Ärger gegeben, erinnert sich der Ehrvater. „Da hat ein Bruder seine Schwester gegen 15 Uhr mit dem Heißluftballon entführt. Sie kamen erst um 21 Uhr zurück. Der Bräutigam hat mit seiner Braut kein Wort mehr geredet.“

Höhepunkt des Tages

Nach dem Abendessen kommt der Höhepunkt des Tages: das „Abdanken“. Peter Eggl trägt dann eigens gereimte Gstanzln über Festgäste vor. Die Infos hat er vom Brautpaar. Einen Tag lang braucht der Schreiner, um Verse zu zimmern, die frech, aber nicht zu frech sind. Kostprobe: „Der Bernhard ist im Kreis Miesbach schon bekannt. Der wird auch ,der, dem keine widerstehen kann’ genannt. Was der David Beckham für seine Victoria allemoi, ist der Mayer Berni für die ledigen Damen im Mangfalltoi“. In früheren Zeiten seien die Verse der Lader so „gschert“ gewesen, dass manche das Fest verlassen hätten. Peter Eggls Abend endet erst um Mitternacht, nach dem Schlusswalzer des Brautpaars. Dann versammeln sich alle um die Eheleute herum, und zu den Klängen von „Guten Abend, gute Nacht“ fließt auch mal eine Träne, ehe das Brautpaar abfährt. Dann gönnt sich Peter Eggl das erste und einzige Pils des Tages.

Nur noch zwei Mal wird er den „Ehrvater“ machen. Dann hört er nach 577 Hochzeiten auf. „Die Luft ist nach 25 Jahren raus. Ich will am Wochenende auch mal etwas anderes machen, als auf Hochzeiten zu gehen“, sagt Eggl, der für seine Dienste nie etwas verlangt, aber manchmal doch ein bisschen was bekommen hat. Selbst ist der Schreiner übrigens ledig. Denn: „Welche Frau will schon einen, der am Freitag dichtet, samstags auf Hochzeiten geht und am Sonntag todmüde auf der Couch liegt?

Daniela Transiskus

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