Eifersucht: Die betrogene Betrügerin

Ausgerechnet Catherine Millet, Frankreichs sexbesessene Verfechterin der freien Liebe, erliegt dem Trieb Eifersucht und spioniert ihrem Mann nach. Die Details beschreibt sie in ihrem neuen Buc.h
Die Frau auf dem Foto ist nackt. Ihre Beine sind gespreizt, der Bauch ist rund. Sie ist schwanger.
Als Catherine Millet das Bild auf dem Schreibtisch ihres Mannes Georges Henric findet, spürt sie „heftigen Schmerz“. Ist die Frau seine Geliebte? Ist er der Vater ihres Babys? Wie betäubt erwähnt sie ihm gegenüber das Foto. Er spricht von einer „väterlichen Beziehung“, doch sie hört kaum hin, hat schon die Kontrolle über sich verloren.
Mit „inquisitorischer Hartnäckigkeit“ spioniert sie ihm von da an nach, sammelt zerknüllte Zettel und liest sie, sucht in seinen Tagebüchern, Taschen und Schubladen nach Beweisen seiner Untreue. So „widerwärtig“ sie ihre Einbrüche in seine Intimsphäre auch findet, sie kann nicht mehr zurück.
Ausgerechnet Catherine Millet, Frankreichs Femme fatale, deren intime Bekenntnisse „Das sexuelle Leben der Catherine M.“ 2001 für einen Skandal sorgten und weltweit 1,5 Millionen Mal verkauft wurden, erliegt dem Beziehungskiller Eifersucht. Und geht auch damit wieder an die Öffentlichkeit. Zwei Jahre nach der französischen Ausgabe ist ihr Buch „Eifersucht“ (Hanser Verlag, 21,50 Euro) jetzt bei uns im Handel.
Ob sie auch hier wie in ihrer Heimat Häme einstecken muss, bleibt abzuwarten. Aber, dass sie, die renommierte Kunstexpertin und Ikone der 68er Libertinage, der freien Sexualität, vor Eifersucht brennt – das mag Moralisten schadenfroh machen und ihre Anhänger verstören. La Millet, die mehr Liebhaber hatte als sie zählen konnte, angeblich bis zu 1000, meist fremde Männer. Die es in Swinger-Clubs trieb, sich auf Friedhöfen und Vernissagen „beackern“ ließ – und niemals Schuldgefühle hat(te)... – sie zeigt auf einmal Gefühl, erliegt einem „primitiven Trieb", wie sie ihn selbst geißelt. Ein pikanter Widerspruch, der neugierig macht auf ihren Mut wie ihren Exhibitionismus.
Schonungslos, sensibel und mitunter verschwurbelt seziert sie auf 160 Seiten, wie die Eifersucht sie krank gemacht hat. Bemüht, sich selbst wieder zu finden und ihren Lesern zu zeigen, dass sexuelle Freiheit zum Gefängnis werden kann.
Die Nymphomanin, die die Männer benutzt hat, sieht sich nun als treuliebendes Opfer, als verletzte Frau. Längst hat sie verdrängt, dass ihr Mann sie einst vor den Folgen ihrer Zügellosigkeit gewarnt hat. Immer habe sie wie „echter Matrose“ geliebt, schreibt sie, und sich in Affären und Fantasien verstrickt, „wenn das Meer rief". Auch mit ihrem Georges, einem in sich ruhenden Schriftsteller und Fotograf, hat sie heißen Sex, aber mehr noch ist er ihre idealisierte Verbindung zur Realität. Nie denkt sie daran, ihn zu verlassen, nie hinterfragt sie sein außereheliches Verlangen.
Bis sie dahinter kommt, dass er Affären hat – unspektakuläre, verglichen mit ihren Exzessen. Dennoch steigert sie sich Nervenzusammenbrüche und Panikattacken, wirft sich gegen Wände, weint viel. Aber sie kann dem Leid auch Lust abtrotzen. Die betrogene Betrügerin malt sich aus, wie ihr Mann mit anderen Frauen schläft. Oft irreale Szenen, die in ihren Fantasien zur Gewissheit werden, bei denen sie sich zum Orgasmus onaniert.
Höhepunkte, die sie mit der Zeit nur noch selten high machen. Ihre Eifersucht wird immer pathologischer. Wenn er nach einem Anruf gleich wieder auflegt, weil sich angeblich jemand verwählt hat, vermutet sie sofort, das war eine seiner Amouren. Findet sie keine Untreue-Beweise, ist sie nicht beruhigt, sondern sucht weiter. Wie in Trance durchwühlt sie seine Sachen, unfähig ihre Ängste verbal zu vermitteln – aus Angst, noch mehr zu leiden.
Endlich, nach fast drei Jahren macht sie’s, fragt, was er mit welcher Frau wo getan hat. Er reagiert wütend: „Wie kannst ausgerechnet du mir so eine Frage stellen?“ Sie dämmert aus ihrem Delirium, unterzieht sich einer Psychotherapie und beginnt mit ihren Sex-Memoiren. Zeitgleich veröffentlich ihr Mann einen Bildband mit Nacktfotos von ihr. Vive la libertinage – zumindest nach außen hin.
Jetzt also die Innen-Ansichten der Catherine M. „Heute fühle ich mich befreit“, sagt die 61-Jährige, und dass sie inzwischen eher monogam sei. „Wenn man sein Leben in Büchern verarbeitet, erlaubt einem das, alles hinter sich zu lassen.“ Bis auf ihren Mann, den hat sie neben sich gelassen. Fortsetzung folgt?
Renate Schramm