Ehen halten länger, aber mehr Scheidungen

Nicht das «verflixte siebte Jahr» ist die größte Klippe für die Ehe: Das Aus kommt im Durchschnitt sehr viel später. Allerdings glauben besonders die Männer oft, dem GAU gar nicht entgehen zu können.
Oscar-Preisträger Sean Penn hat sie eingereicht, Silvio Berlusconis Frau will sie, Til Schweiger und seine Frau Dana reden öffentlich darüber: Scheidungen sind nicht nur bei Prominenten in aller Welt, sondern längst auch in allen Gesellschaftsschichten in Deutschland an der Tagesordnung.
Von 1000 Ehen gingen im vergangenen Jahr elf rechtskräftig auseinander; 1993 waren es erst acht, wie das Statistische Bundesamt (Destatis) in Wiesbaden am Mittwoch mitteilte. «Das Tabu ist verschlissen», bringt es der Vizepräsident der Deutschen Arbeitsgemeinschaft Jugend- und Eheberatung, Berend Groeneveld, auf den Punkt.
Die Zahl der Scheidungen stieg 2008 erstmals seit fünf Jahren wieder, um drei Prozent auf mehr als 191.900 - nach Einschätzung von Fachleuten liegt diese Zunahme aber in der normalen statistischen Schwankungsbreite. «Am Scheidungsverhalten hat sich nicht großartig was verändert», sagte Martin Conrad von Destatis.
Viele Ehen scheitern am Alltag
«Die Wahrscheinlichkeit, dass die Ehe auseinandergeht, ist in den ersten Jahren am höchsten», berichtet Scheidungsforscher Ulrich Schmidt-Denter von der Universität Köln.
Nicht nach dem «verflixten siebten» Jahr, sondern nach dem vierten würden die meisten Ehen geschieden, wenn die Verliebtheit vom Alltagsmanagement abgelöst werde, an dem viele scheiterten. Manche stellten dann auch fest, dass sie nicht gemeinsam Kinder haben wollten: Mehr als die Hälfte der geschiedenen Ehen ist kinderlos. Psychologe Groeneveld ergänzt: «Eine Gruppe von Männern ist durch Scheidungsdramen im Bekannten- und Familienkreis so geschockt, dass sie den GAU im Kopf vorwegnehmen» - und den Kinderwunsch ihrer Partnerin nicht teilen. «Auch Altersehen geraten aber zunehmend in die Bredouille», sagt Groeneveld. Schmidt-Denter spricht gar vom zweiten Höhepunkt bei den Scheidungszahlen: Nach 20, 25 Jahren, «wenn die Kinder als sinnstiftendes Element wegfallen», gingen immer mehr Ehen in die Brüche. Viele Paare stellten dann fest, dass sie für die letzten Jahre unterschiedliche Lebensentwürfe hätten, sähen eine Scheidung generell auch liberaler als früher, und die Frauen könnten materiell viel besser auf eigenen Füßen stehen.
«Frauen haben höhere Ansprüche»
Statistisch steigt die durchschnittliche Dauer einer Ehe bis zur Scheidung: 2008 waren die Paare, die vor den Scheidungsrichter traten im Durchschnitt schon mehr als 14 Jahre verheiratet, 1990 waren es nur 11,5 Jahre.
Nach wie vor reicht meist die Frau die Scheidung ein (54,2 Prozent). Der Mann allein gibt nur in gut jedem dritten Fall den Anstoß, allerdings tat er dies 2008 häufiger als noch 2007 (plus fünf Prozent). «Frauen haben höhere Ansprüche an die Kommunikation und die Qualität sozialer Beziehungen als Männer», erläutert Entwicklungspsychologe Schmidt-Denter. Frauen nähmen die Missstände meist stärker wahr und seien mit ihren Freundinnen meist sozial besser vernetzt, fügt Psychologe Groeneveld hinzu. (dpa)