Dunkle Tage an der Berliner Charité
Die Berliner Charité kommt in diesen Tagen nicht aus den Schlagzeilen - nach dem Drama um die Darmkeime auf Babystationen wird nun ein Klinikchef in seinem Büro verprügelt.
Berlin – Prügelattacke im Arztzimmer, gefährliche Darmkeime auf Frühchen-Stationen und Wirbel um eine Babyleiche, die obduziert werden soll. Dunkle Tage an Deutschlands größter Uniklinik, der Berliner Charité. Seit vergangener Woche jagt eine Schlagzeile die nächste – und diesmal nicht wegen medizinischer Toperfolge, die das Klinikum und seine weltweit renommierten Forschungsinstitute so oft vorweisen. Krisenmanagement ist jetzt angesagt. Aber die Informationen für die Öffentlichkeit fließen spärlich und oft reichlich spät. Am Dienstagnachmittag wird deutlich, dass Kliniken eben kein Hochsicherheitstrakt sind: Zwei Männer betreten das Büro eines Chefarztes in der Gynäkologie des zur Charité gehörenden Virchow-Klinikums und prügeln ihn nieder – angeblich, weil er eine Frau fehlerhaft behandelt haben soll.
Stockschläge und Tritte bekommt der 44-Jährige ab. Mit Rippenbruch, Prellungen und Schürfwunden muss er stationär behandelt werden. Als ein Kollege helfen will, wird auch er attackiert. Anschließend flüchten die Täter. Die Polizei nimmt Ermittlungen auf und spricht von einem „ungewöhnlichen Fall“. Bis Mittwochmittag dauert es, bis die Charité Stellung nimmt und dem Kollegen gute Besserung wünscht: „Wir sind über diesen ungeheuerlichen Vorfall sehr erschüttert.“ Mit den Serratia-Darmkeimen auf Frühgeborenen-Stationen habe dieser Übergriff jedoch nichts zu tun, betont die Klinik. Dies ist die zweite große Charité-Baustelle dieser Tage: Es werden noch sechs erkrankte Kinder behandelt, die Antibiotika-Therapie schlage gut an, hieß es am späten Mittwochnachmittag.
Zudem werden acht Kinder intensiv beobachtet, bei denen die Darmkeime analysiert wurden. Ein herzkrankes Baby war am 5. Oktober im benachbarten Deutschen Herzzentrum gestorben. Nach einer erfolgreichen Operation war bei ihm eine Darmkeim-Infektion aufgeflammt, die es sich vermutlich auf einer Frühgeborenen-Station zugezogen hatte. Dies sollte durch eine Obduktion geklärt werden, doch die Staatsanwaltschaft weiß am Mittwoch zunächst gar nicht, wo sich der Leichnam befindet. Erst nach einigem Rätselraten teilt die Charité mit, dass das Baby bereits am 12. Oktober beigesetzt wurde. Die Staatsanwaltschaft wiederum teilte mit, sie habe erst jetzt davon erfahren. Kommunikationsloch zwischen den Institutionen und Behörden oder größere Panne? Informationspannen sieht sogar Berlins Gesundheitssenator Mario Czaja (CDU) – er spricht von „Nachholbedarf“ in der Informationspolitik der Charité.
Erst am Dienstag hatte der ärztliche Direktor des Klinikums, Ulrich Frei, eingeräumt, dass es möglicherweise einzelne Versäumnisse in Hygienefragen gegeben haben könne. Auch dass es bereits im Juli zwei erste Serratien-Infektionen gab, wurde jetzt erst bekannt. „Die Kommunikation war nicht optimal“, sagte Frei dann auch im Interview mit der „Berliner Morgenpost“. Jetzt bemüht sich ein eigens zusammengerufenes Expertenteam aus Mitarbeitern der Charité, des Robert Koch-Instituts und des Landesamtes für Gesundheit, Licht auf die Ursachen der Infektionskette zu werfen. Bis es soweit ist, wird in einer der größten Universitätskliniken Europas keine Ruhe einkehren. Zwar hat die Charité international bestes Ansehen, aber Probleme vor Ort ist man durchaus gewohnt.
Der riesige Klinik-Komplex, der nach der Wende an drei verschiedenen Standorten aus den Unikliniken in West- und Ost-Berlin zusammengegossen wurde, ächzt unter einem Millionen hohen Schuldenberg und muss sparen. Dazu kommt das marode Betten-Hochhaus in Berlin-Mitte, das in einer jahrelangen Sanierungsphase steckt. Zwar schrieb die Charité 2011 erstmals schwarze Zahlen. Aber gespart wurde dafür auch durch Outsourcing – etwa bei der Innenreinigung der Gebäude. Wochenlang hatten die Beschäftigten der Putz-Tochterfirma vor Jahresfrist wegen schlechter Arbeitsbedingungen und für höhere Löhne gestreikt. Kritiker hatten bemängelt, hohe Hygiene-Standards könnten mit Zeitarbeitern nicht immer gehalten werden.