Doppelmord in Bodenfelde: War Nina tagelang bei ihrem Mörder?
BODENFELDE - Das schreckliche Verbrechen in Niedersachsen: Die Polizei hat einen Tatverdächtigen festgenommen und schließt ein Sexualdelikt aus. Womöglich war die 14-jährige Ausreißerin Nina schon mehrere Tage bei dem späteren Täter.
Die Menschen in Bodenfelde sind fassungslos. Am Dienstagabend trauerte die 3500-Einwohner-Gemeinde in einem Gottesdienst um die Teenager Nina († 14) und Tobias († 13) Die Polizei hat einen Tatverdächtiger festgenommen. Noch ist der Doppelmord ein Rätsel:
Wer ist der Tatverdächtige? In der Nacht zum Dienstag hat die Polizei einen Verdächtigen festgenommen, in einem Ort im Kreis Northeimunweit von Bodenfelde. Gestern wurde er vernommen. Zunächst äußerten sich die Ermittler vorsichtig: „Es könnte auch sein, dass wir ein Alibi finden und die Person dann wieder laufen lassen müssen.“ Im Laufe des Nachmittags sprach der Staatsanwalt aber von „mehreren belastenden Momenten“. Man wolle den Mann, der aus der Region stammt, noch am Dienstagabend einem Haftrichter vorführen und U-Haft beantragen. Der Tatverdächtige ist nicht geständig, er schweigt zu den Vorwürfen. Spekuliert wird, dass er Insasse einer Drogentherapieeinrichtung in der Nähe von Bodenfelde sein könnte. In der Einrichtung sagt man nur, man habe „aktuell“ nichts mit dem Tatverdächtigen zu tun. Also eine Ex-Junkie? Die Polizei bestätigt das nicht.
Wo war Nina vor der Tat? Das 14-jährige Mädchen war am Montag vor acht Tagen ausgerissen – nicht zum erstenMal. Sie lebte bei ihrer Mutter und ihrem Stiefvater, es gab Streit. Doch wenn Nina abhaute, blieb sie nie über Nacht weg. Als sie diesmal nicht nach Hause kam, ging die Mutter am Dienstag zur Polizei. Nina war in der Woche von mehreren Dorfbewohnern gesehen worden. Die Polizei geht davon aus, dass Nina sich bei jemandem versteckt hielt. Sie war sommerlich gekleidet, muss also, so die Ermittler, Unterschlupf gefunden haben. Beim Täter? Angeblich glaubt die Polizei inzwischen, dass Nina seit Tagen bei ihrem späterenMörder gewohnt hat. Zuletzt wird sie am Samstagabend gesehen, Zeugen berichten von einem Mann in einem dunklen Auto. Ninas Leiche wurde am Sonntagnachmittag in einem Waldstück gefunden – wenige Meter von Tobias’ totemKörper entfernt.
Gibt es Parallelen zum Fall Mirco? Die Polizei prüfte einen Zusammenhang mit dem Verschwinden des elfjährigen Mirco aus Grefrath, rund 280 Kilometer von Bodenfelde entfernt. Bei Mirco wird nach einem dunklen VW Passat gefahndet – da auch in Bodenfelde von einem dunklen Wagen die Rede ist, haben sich die Ermittler besprochen, sind aber nicht weitergekommen. „Nach derzeitigem Erkenntnisstand ist zwischen beiden Fällen kein Zusammenhang erkennbar“, sagt Polizeisprecher Willy Theveßen.
Was verband die beiden Opfer? Nina und Tobias gingen in die gleiche Schule, in die Heinrich– Roth-Gesamtschule. Sie kannten sich – wenn überhaupt – nur flüchtig. Laut den Freunden der beiden hatten sie keine persönliche Verbindung. Was machten die beiden also am Tatort? Spekuliert wird, dass Tobias zufällig mitbekam, wie Nina verschleppt wurde und ihr zu Hilfe kommen wollte. Oder beobachtete Tobias nur den Mord an Nina und wurde so zum unliebsamen Zeugen? Tobias hatte am Samstagabend um 20 Uhr einen Freund zum Bahnhof gebracht und wollte dann mit seinen Inlinern nach Hause fahren – wo er nie ankam. Beide Leichen wurden wenige Meter voneinander entfernt gefunden. Offenbar wurde das Mädchen mit dem Messer grausig hingerichtet, der Junge erschlagen. Doch auch das wird von der Polizei bisher nicht bestätigt.
Was war das Motiv? Dass zwei Kinder umgebracht werden, ist sehr selten. Meist suchen sich Täter Kinder, die alleine unterwegs sind – schon um Zeugen zu vermeiden. Eine tragische Ausnahme war das Geschwisterpaar Tom und Sonja aus Eschweiler, das 2003 starb. Die Täter entführten beide, erwürgten den elfjährigen Tom, missbrauchten dann tagelang die neunjährige Sonja und ermordeten anschließend auch sie.
Die beiden Täter wurden zu lebenslanger Haft verurteilt. Bei Nina und Tobias hatte es zunächst so ausgesehen, als gebe es auch hier sexuelle Motive: Beide Tote waren laut Polizei nur leicht bekleidet.
Doch am Dienstag gab die Staatsanwaltschaft ein Teilergebnis der Obduktion bekannt: Keines der Opfer wurde sexuell missbraucht. Öffentlichmacht Oberstaatsanwalt Hans Hugo Heimgärtner das, weil er die Bodenfelder beruhigen will: „Für viele war es einfach beunruhigend davon auszugehen, dass dort ein Sexualstraftäter durchs Dorf rennt“, sagte Heimgärtner gestern. Derzeit sieht es so aus, als hatte es der Täter vor allem auf Nina abgesehen. Tobias kam vielleicht nur zufällig dazu – und musste deswegen auch sterben. Der Täter hat sich keine Mühe gegeben, die Leichen zu verstecken. Er flüchtete wohl gleich nach den beiden Morden.
Tina Angerer