Interview

La dolce vita oder Mafia-Paradies? Was eine Expertin zum Lieblings-Urlaubsland Italien sagt

Das süße Leben suchen viele Bayern in den Sommerferien in Italien. Die Realität sieht ganz anders aus. Die AZ hat mit der Mafia- und Venedig-Expertin Petra Reski über Lauterbach-Tweets und das stille Leiden vieler Italiener gesprochen.
von  Heidi Geyer
Malcesine am Gardasee ist ein beliebtes Ziel für viele Bayern.
Malcesine am Gardasee ist ein beliebtes Ziel für viele Bayern. © Foto: IMAGO/nordphoto GmbH/Straubmeier

Für viele ist Italien ein Sehnsuchtsland. Sonne, Strände, gutes Essen – und ein Lebensstil, der dazu einlädt, dem ernsten Alltag in Deutschland zu entkommen. Der Alltag für viele Einheimische sieht jedoch anders aus. 

Warum unser Blick auf Italien romantisch verklärt ist, mit welchen Problemen das Land zu kämpfen hat und welche Rolle das organisierte Verbrechen noch immer spielt, erklärt Mafia- und Venedig-Expertin Petra Reski im AZ-Interview.

Petra Reski.
Petra Reski. © Paul Schirnhofer

AZ: Frau Reski, für viele Deutsche ist Italien das Land der Leichtigkeit und des Dolce Vita. Machen sich die Deutschen da etwas vor?
PETRA RESKI: Diese romantische Sicht auf Italien hat ja eine lange Tradition. Das fing schon bei Goethe an, wenngleich auch er Kritik geübt hat. Dieses Verklären Italiens ist eher so eine Art deutsches Nationalgut, als dass es der Realität entsprechen würde: Man denke nur an die Veränderungen durch die Klimakrise, von der Italien gerade massiv getroffen wurde. Eine Krise, die von der Politik mehr oder weniger ignoriert wird. Das hat leider eine lange Tradition, es wird wenig Wert auf den Schutz der Umwelt gelegt.

Sehnsuchtsland Italien: "Empfinden für Gemeinwohl nicht sehr ausgeprägt"

Woran liegt das? Schließlich ist die schöne Natur auch Teil des touristischen Kapitals Italiens.
Diese Frage stelle ich mir auch. Leider geht es mehrheitlich darum, die Umwelt zu benutzen, aber nicht zu pflegen. Um ein Beispiel zu nennen: Die Lagune von Venedig, wo ich lebe, wird nicht als das fragile Ökosystem betrachtet, das sie darstellt. Sondern eher als Infrastruktur – wenn man so will, wie eine Autobahn. Mit dem Ergebnis einer zerstörten Lagune. Ähnliche Beispiele gibt es auch aus anderen Teilen Italiens, zum Beispiel die Petrochemieanlage bei Syrakus in Sizilien. Dort wird die Umwelt mit Gift und Chemikalien zerstört – bis heute. Dennoch werden Umweltschützer als Störenfriede betrachtet. Ein Grund mag darin liegen, dass das Empfinden für das Gemeinwohl nicht sehr ausgeprägt ist.

Nun gab es schlimme Stürme im Norden und Brände sowie Hitze im Süden. Wie wird das in Italien diskutiert?
Man fürchtet um den Tourismus, aber auch um das eigene Leben und die Landwirtschaft. Von den offiziellen Stellen versucht man das immer runterzuspielen: Man ist sehr darum bemüht, ein rosarotes Bild von Italien zu zeichnen. Die Italiener wissen aber, dass es diese Häufung von Extremwettern früher so nicht gab.

Großprojekte in Italien: "Viel Geld fließt in falsche Taschen"

Hat das Thema Klimakrise überhaupt jemanden interessiert?
Bei dem beherrschenden Parteiblock war das gar kein Thema. Alles, was vermeintlich die Produktivität einschränken würde, wird sowohl von rechts als auch von links von der Demokratischen Partei abgelehnt. Das geht noch auf Berlusconi zurück, der sich immer als "Macher" inszenierte. Im Gegensatz zu denen, die immer als Nein-Sager gelten sollten. In Deutschland werden die Grünen ja auch so dargestellt. Dabei gibt es viele Probleme: 43 Prozent des Wassers versickern in Italien in undichten Leitungen. Darüber wird aber nicht diskutiert. Stattdessen ist in den Zeitungen der Aufmacher, dass Salvini das Phantomprojekt der Brücke von Kalabrien nach Sizilien wieder aufwärmen will. Und so ist es leider oft: Immer wieder verheddert sich die italienische Politik in Großprojekten, bei denen viel Geld in die falschen Taschen fließt. Anstatt das Land zu sanieren.

Karl Lauterbach hat auf Twitter eine schwarze Zukunft Italiens wegen der Klimakrise beschworen. Wie waren die Reaktionen?
Das hat eine lange Tradition. Als Gerhard Schröder Kanzler war, gab es 2003 auch mal eine Verstimmung, als er seinen Urlaub in Pesaro wegen einer diplomatischen Kontroverse abgesagt hat. In Italien hat man das Gefühl, dass gerade in der Ferienzeit immer wieder solche Tweets oder Bemerkungen von deutschen Politikern kommen, die davon abraten, nach Italien zu fahren. Dann bricht für Italien natürlich alles zusammen.

Italien-Expertin: "Touristische Monokultur wird rücksichtslos vorangetrieben"

Zugleich leidet das Land an vielen Stellen auch an allen Aspekten des Overtourism. Sie erleben das auch täglich in Venedig. Welche Perspektive erwarten Sie?
Ich fürchte, dass sich ganz Italien in ein riesiges touristisches Disneyland verwandelt. Ich war gerade in Palermo, dort hat sich die Altstadt auch in eine einzige Fress- und Feiermeile verwandelt. Mit Spritz und Fingerfood wie in Venedig. Dieser Vereinheitlichung wird nichts entgegengesetzt, auch nicht gegen die Air-BnB-Plage. Die Italiener finden aber keinen Wohnraum mehr und werden aus den historischen Zentren vertrieben. Die touristische Monokultur wird rücksichtslos vorangetrieben.

Was ist Ihr Rat an deutsche Touristen?
Natürlich sollte man nach wie vor Italien besuchen! Lieber nicht im August, denn da ist ganz Italien selbst im Urlaub. Am besten fährt man außerhalb der Hauptreisezeit und nicht in die touristischen Hotspots wie Venedig oder Cinque Terre. Statt Air-BnB oder multinationalen Ketten das Geld zu lassen, sollte man lieber eine familienbetriebene Pension buchen. Ich empfehle den Süden wie Apulien oder Kalabrien, dort gibt es noch viele unbekanntere Ecken, die noch nicht bereist sind, es aber verdient hätten. Der Tourismus ist in Kalabrien noch nicht so entwickelt, wie es die Landschaft verdienen würde, aber leider ist die wirtschaftliche Entwicklung von der Präsenz der 'Ndrangheta stark beeinträchtigt. Die ganze Infrastruktur hat darunter gelitten.

"Viele Anhänger sind von Giorgia Meloni enttäuscht"

Viele Italiener sind frustriert von der Politik, gehen noch nicht mal mehr zur Wahl. Wie kommt Giorgia Meloni an?
Man muss etwas zurückblicken: Meloni dümpelte lange bei um die sieben Prozent herum. Aber sie war die einzige wirkliche Oppositionspartei zur Regierung Draghi. Meloni hatte dadurch eine sehr dankbare Rolle, sie war die Einzige, die kritisierte. Aber jetzt sind viele Anhänger enttäuscht, dass von ihren Versprechungen nichts gehalten wird. Sie setzt die Politik der vorherigen Jahrzehnte fort: Wenn gespart wird, dann an Schulen, am Gesundheitssystem oder am Sozialsystem. Die privilegierten Klassen sind davon nicht betroffen. Aber im August geht es in Italien nicht um Politik - da geht es nur um Urlaub.

Was schätzen Sie trotz all dieser Aspekte an Italien?
Vor allem den Willen der Italiener, diese Zeiten durchzustehen. Ich gebe Ihnen ein Beispiel: Das Staatsbegräbnis für Silvio Berlusconi, der ein Gewohnheitsverbrecher war, war für die anständigen Italiener, die nach wie vor die Mehrheit des Landes darstellen, eine unfassbare Demütigung. Die Italiener sind oft sehr fatalistisch und haben vieles, was in den letzten Jahrzehnten passiert ist, geradezu stoisch ertragen, aber auch mit großer Zivilcourage für Gerechtigkeit gekämpft. Dafür bewundere ich sie. Und natürlich für ihr schönes Land. Die Frage ist, wie lange wird das gut gehen?

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