»Diskussion ist immer gut«
Nach der Brand-Katastrophe von Ludwigshafen: Das Erste zeigt den gekippten »Tatort« mit Ulrike Folkerts als Kommissarin Lena Odenthal. Und in der Tat: „Schatten der Angst“ hat es in sich.
LUDWIGSHAFEN Ganz schön überrascht war Regisseur Martin Eigler, als sein SWR-„Tatort“ Anfang Februar kurzfristig aus dem Programm gekegelt wurde. Am 3. Februar starben bei einem Brand in einem von Türken bewohnten Ludwigshafener Mehrfamilienhaus neun Menschen. Der SWR entschied deshalb, „Schatten der Angst“, der unter in Ludwigshafen lebenden Türken spielt, zu verschieben. Der Sender wollte „Rücksicht nehmen auf eine große Trauergemeinde“, so Intendant Peter Boudgoust. Unter keinen Umständen wollte man die Diskussionen anheizen.
„Der SWR hatte mich darüber informiert, noch bevor sich Kurt Beck geäußert hat“, sagt Regisseur Eigler der AZ. Im Rückblick findet er die Entscheidung richtig, „so hoch wie die Wogen waren, ohne dass die Leute den Film überhaupt gesehen hatten“.
„Schatten der Angst“ hat es in der Tat ganz schön in sich. Lena Odenthal (Ulrike Folkerts) ermittelt im Mordfall des Ludwigshafener Türken Ercan und findet heraus, dass Derya (Sesede Terziyan), die junge Frau des Opfers, schon seit einiger Zeit ein Verhältnis zu dem Deutschen Peter (David Rott) hat. Das Problem: Auch Deryas Familie weiß Bescheid.
„Türken werden im deutschen Fernsehen meistens sehr klischeehaft dargestellt“, sagte der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde Deutschlands, Kenan Kolat, kurz nach dem Brandanschlag. „Wir wollten keine Schubladen und Klischees, keine einfache Schwarz-Weiß-Zeichnung“, sagt dagegen Eigler, der mit Annette Bassfeld-Schepers auch das Drehbuch geschrieben hat. „Wir haben das zu vermeiden versucht, indem wir die Problematik aus Sicht des türkischen Mädchens schildern, sie als Figur zeichneten, die nicht pauschal alles ablehnt, sondern auch versucht, sich mit ihrem Vater und ihren Brüdern auseinanderzusetzen.“ Ulrike Folkerts habe übrigens die Idee zu dem Fall gehabt. „Sie saß in einer TV-Show, in der eine Frau von ihrer Zwangsverheiratung erzählt hatte.
Die öffentliche Diskussion fürchtet Eigler aber keineswegs. Im Gegenteil: „Eine Diskussion ist immer gut“, sagt er. Das mache den „Tatort“ auch für ihn so interessant. „Man ist in diesem Format aufgefordert, gesellschaftlich relevante Themen zu bearbeiten und kann davon ausgehen, dass so viele Menschen zuschauen, dass er auch am nächsten Tag noch Gesprächsthema sein wird.“
Es ist nicht lange her, dass die NDR-Folge „Wem Ehre gebührt“ für einen Sturm der Entrüstung bei der Alevitischen Gemeinde Deutschlands gesorgt hatte. „Da war unser ,Tatort’ schon lange abgedreht, aber natürlich macht man sich im Vorfeld Gedanken, wie die Reaktionen ausfallen könnten“, sagt Eigler. „Schließlich weiß man, wie emotional aufgeladen das Thema ist.“ Er hoffe aber, dass die Zuschauer die differenzierte Darstellung des Problems wahrnehmen. „Die einzige Forderung, die wir aufstellen ist, dass Frauenrechte geachtet werden müssen. Dass es keine Entschuldigung gibt, sie zu missachten – ganz gleich, ob aus religiösen, traditionellen oder familiären Gründen.“
Angelika Kahl