Die "Tube": Ein Urgestein im Untergrund
London - Londoner Pendler sind leidgeprüft. Die U-Bahn ist eng, immer voll und meist zu spät. Trotzdem lieben sie ihre „Tube“, sie gehört zu London wie die Themse und der Big Ben. Und das nicht ohne Grund. Sie ist die älteste U-Bahn der Welt. Am 10. Januar 1863 fuhr der erste Zug vom Bahnhof Paddington nach Farringdon. Heute fahren auf dem mit 402 Kilometern zweitgrößten U-Bahn-Streckennetz der Welt jährlich rund 28 Millionen Fahrgäste.
Züge unter der Erde? Für die „Times“ war das noch kurz vor der Eröffnung „eine Beleidigung des gesunden Menschenverstandes“. Aber die Praktikabilität siegte: Am ersten Tag nutzen in London 30000 Menschen das neue Verkehrsmittel, 11,8 Millionen im ersten Jahr. Und das bei gerade mal rund 3,2 Millionen Einwohnern.
Als ultimative Lösung für innerstädtische Verkehrsprobleme fand die Idee schnell viele Nachahmer. 1869 eröffnete die U-Bahn in Athen, 1875 in Istanbul, 1896 in Budapest und in Glasgow. Paris eröffnete 1900 anlässlich der Weltausstellung seine Metro. Ihr Netz wuchs besonders schnell und ist ungewöhnlich dicht. Außerdem fahren hier etwa die Hälfte der Züge auf Gummireifen.
„Metro“ ist heute die am häufigsten genutzte Bezeichnung für eine U-Bahn. Die erste Londoner Tube hatte anfangs mit heute kurios erscheinenden Problemen zu kämpfen. Der damalige britische Premierminister Lord Palmerston erschien nicht zum feierlichen Eröffnungsbankett. Der fast 80-Jährige ließ verlauten, er wolle noch so viel zeit über der Erde verbringen, wie er nur könne. Bis zur Elektrifizierung Anfang des 20. Jahrhunderts zogen Dampfloks die Züge. Die Luft im Untergrund war so schlecht, dass den Zugfahrern erlaubt wurde, sich Bärte wachsen zu lassen, quasi als natürlicher Luftfilter. Einige Zuglinien waren fensterlos. Im Untergrund gäbe es ja nichts zu sehen, meinten die Hersteller. Um den Menschen die Angst vor der ersten Rolltreppe zu nehmen, gab es einen Angestellten, der demonstrativ hoch- und runterfuhr. Auch eine geordnete Linienführung gab es nicht, denn private Betreiber eröffneten nach und nach einzelne Linien. Darum gibt es bis heute rund 40 ungenutzte Stationen.
Die U-Bahn hat Londons Stadtbild geprägt und mitgestaltet: Dank ihr konnten die Arbeiter die engen, heruntergekommenen Quartiere im Zentrum verlassen und in die Vorstädte ziehen. Stadt und Pendlerstrom wuchsen rasant. Auch in Sachen Design war London Vorreiter. Die Darstellung der Bahnlinien aus dem Jahr 1933 wurde zum Vorbild für Nahverkehrsnetzpläne in aller Welt.
Im zweiten Weltkrieg retteten die tiefen Tunnel als Luftschutzbunker Tausenden das Leben. Bei laufendem Betrieb.
Heute merkt man der Tube ihr hohes Alter an. Sicherheit, Leistung und Komfort lassen zu wünschen übrig, denn nach dem Krieg hatten die Investitionen stark nachgelassen. Nach einem Brand in der Station King's Cross 1987, bei dem 31 Menschen starben, wurden die Brandvorschriften verschärft. Rauchen wurde verboten, bis 2006 die letzten Holz-Rolltreppen abgeschafft.
Nun will die britische Regierung die „Tube“ auf Vordermann bringen und bis 2036 16 Milliarden Pfund investieren. 2018 soll eine neue, größere, komfortablere Ost-West-Verbindung eröffnet werden.
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