Die totale Enttarnung des Tom Cruise

Es sollte unter Verschluss bleiben. Doch das nun aufgetauchte Geheimvideo zeigt Hollywood-Star Tom Cruise als glühenden Agitator bei Scientology. "Er redet wie Goebbels", sagt Historiker Guido Knopp.
VON ANNE KATHRIN KOOPHAMEL
Es sollte unter Verschluss bleiben, verwahrt in den Archiven der Scientology-Zentrale in Clearwater, Florida: Ein brisantes Video, das Tom Cruise (45) erstmals öffentlich als einen der führenden Köpfe der Organisation enttarnt. Jetzt ist es auf dem Internet-Portal gawker.com aufgetaucht. Es zeigt Cruise, wie er eine aufpeitschende Rede vor Anhängern hält, im Hintergrund eine Weltkarte, umspannt vom goldenen Slogan der Organisation.
"Das Video demonstriert zum ersten Mal eindringlich, die Haltung und Ideologie, die Cruise vertritt" , sagt die renommierte Scientology-Expertin Ursula Caberta der AZ. "Er funktioniert nach den Regeln der Organisation. Die Maske ist endgültig gefallen."
Cruise steht am Rednerpult, um seinen Hals die Freiheitsmedaille für Mut eine der höchsten Auszeichnungen für Scientologen. Mit eindringlichen Gesten und festem Blick redet er auf das Publikum ein. "Leute, das ist jetzt unsere Zeit. Eine Zeit, an die wir uns alle erinnern werden." Er pocht mit den Fingern auf das Pult. "Wart ihr dabei?", fragt Cruise. "Was habt ihr getan? Ich bin sicher, ihr wisst, ich bin für euch da. Ich kümmer mich sehr, sehr, sehr stark um euch." Sein Blick scheint jeden einzelnen im Publikum zu erreichen. Die Bilder zeigen nicht den fröhlichen Hollywood-Star, sondern einen Fanatiker. "Nun, was meint ihr?" Pause. "Sollen wir hier aufräumen?", schreit er ins Auditorium. Begeistert antworten die Anhänger: "Ja!" "Hier" - das scheint die ganze Welt zu sein.
Erinnerung an Goebbels
Eine Rede, die Historiker Guido Knopp an Reichspropganda-Minister Joseph Goebbels erinnert. "Die Szene, in der Cruise fragt, ob die Scientologen die Welt säubern sollen, erinnert jeden Deutschen an die berüchtigte Sportpalast-Rede." 1943 in Berlin war das, Goebbels hatte gefragt: "Wollt ihr den totalen Krieg?". Er erntete tausendfach ein begeistertes Ja.
In dem Video lächelt Cruise Scientology-Chef David Miscavige an. "Wir zählen auf dich", sagt er und salutiert dann vor einem riesigem Plakat des Gründers L. Ron Hubbard.
Die Betreiber der Internetseite Gawker sagen, Sie hätten das Video zugespielt bekommen. Scientology versuchte das Video zu verhindern.
"Es ist keine Frage mehr, Tom Cruise ist neben Miscavige die entscheidende Figur bei Scientology", so Expertin Caberta. Als Leiterin der Arbeitsgruppe Scientology bei der Hamburger Innenbehörde beobachtet sie den Star seit Jahren. "Er ist das prominteste Aushängeschild, das die Organisation je hatte. Keiner vor ihm hat die Rolle des Verbreiters des Glaubens so gespielt wie er." Sein Glamourlächeln mache Cruise als Aushängeschild perfekt.
Der Promi als Missionar
Den Wert von Promis erkannten die Scientologen früh. Vermutlich Ende der 80er Jahre warben sie Tom Cruise über seine damalige Frau Mimi Rogers an. "Nach ein paar Hirnwäschen im Celebrity-Center hatte Cruise die menschenverachtende Idee übernommen", so Caberta. Der an Legasthenie leidende Cruise sagte damals: "Scientology hat es mir ermöglicht, mein Leben so zu leben, wie ich es lebe." Miscavige sei sein "guter Freund". Mittlerweile war der Chef auch zwei Mal Trauzeuge bei Cruises Hochzeiten mit Nicole Kidman und Katie Holmes.
Wie sehr er sich als Missionar sieht, zeigt ein zweites im Internet kursierendes Video. "Es ist ein Privileg, Scientologe zu sein. Wir haben die Fähigkeit, neue Realitäten zu erzeugen und die Verhältnisse zu verbessern. Wir sind der Weg ins Glück. Wir können Freude verbreiten und Kulturen verbinden."
Der Erhalt der Medaille, wie es auf den Videos zu sehen ist, markiert einen Einschnitt: Vier Jahre soll es her sein. An diesen Abend soll ihm endgültig die Position neben Miscavige zugewiesen sein. Seitdem ist der Filmstar auf Werbe-Feldzug. Auch in Deutschland.
Cruise wirbt seit Jahren um die Deutschen. Für Mission: Impossible III wollte er 2003 im symbolträchtigen Berliner Reichstag drehen Bundespräsident Wolfgang Thierse unterband dies wegen der "Würde des Ortes".
Propaganda-Erfolg mit Walküre
Vier Jahre später der große Coup: Für sein Projekt Walküre über den Widerstandskämpfer Claus Schenk Graf von Stauffenberg durfte er an Original-Schauplätzen im Bendlerblock drehen. Das Hickhack um die Drehgenehmigung löste eine Debatte über Religions- und Kunstfreiheit aus. Es war der Propagandaerfolg, den Scientology sich schon so lange in der Bundesrepublik erhofft hatte. Mit Tom Cruise als Galionsfigur.
Es folgten Familien-Fotos, Interviews, schließlich der Medienpreis "Bambi" in der Kategorie "Courage". FAZ-Herausgeber Frank Schirrmacher hielt die Laudatio, Cruise bedankte sich mit den Worten: "Es lebe das heilige Deutschland!" Der bestbezahlte Schauspieler Hollywoods wurde auch schon von Klaus Wowereit und Nicolas Sarkozy empfangen. So erfülle er laut Caberta seine Aufgabe. Er soll in Politik und Kultur Türen zu öffnen.
Mit der Charme-Attacke auf Deutschland will sich Cruise rehabilitieren: Nach seinem peinlichen Auftritt bei Oprah Winfrey, seinen Interviews, in denen er die "Weltverschwörung der Psychiater" propagierte und seinem Rausschmiss 2006 bei den Paramount-Studios wusch er durch das Projekt Walküre sein Image rein.
Bis jetzt. In der US-Presse wird Cruise seit dem Auftauchen der Videos als ein "gefährlicher Mann" dargestellt. Ein Star im tiefen Fall, so sieht ihn auch Caberta. "Allen, die bisher in Deutschland zweifelten, dürfte nun klar sein, dass Scientology eine totalitäre Organisation ist."