Die Rekrawattisierung

Die Krawatte: Aus dem Staubfänger von einst wird wieder ein Hingucker. Warum gerade Junge wieder Schlips tragen.
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Generell nicht die besten Manieren, aber immer gut angezogen: Skandalrocker Pete Doherty.
AP Generell nicht die besten Manieren, aber immer gut angezogen: Skandalrocker Pete Doherty.

Die Krawatte: Aus dem Staubfänger von einst wird wieder ein Hingucker. Warum gerade Junge wieder Schlips tragen.

Von Irene Kleber

David Beckham trägt öfter eine, Skandalsänger Pete Doherty hat sie regelmäßig am Hals, die Indie-Rocker Mando Diao und The Hives touren gar nicht mehr ohne. Und plötzlich ist sie wieder mitten unter uns: die Krawatte. Mehr als ein Jahrzehnt nachdem ihr Ende besungen war und dem Staubfänger in deutschen Kleiderschränken kaum mehr einer nachweinte, feiert die Krawatte ihr Comeback. Keine Frage, Schlipstragen ist cool.

„Eine Trendwende", verkündet Friedrich Peschen, der Geschäftsführer der Fachvereinigung Krawatten- und Schalindustrie, „die Zeiten, in denen selbst Designer Anzüge ohne Krawatten präsentierten, sind vorbei.“

Dressing-up heißt das Motto

Dressing-up ist angesagt, nicht nur im Businessleben, sondern auch in der Freizeit. Man trägt Schlips lässig zu Jackett und Shorts, rustikal zur Hochwasserhose, knallfarben zum Neopunk oder elegant zum Dreiteiler. Die trendigste Variante ist schmal und aus dunkler Seide oder Leder, mit Klubstreifen wirkt die Binde gepflegt, mit buntem Karomuster hippie-like.

Vor allem die Jugend hat die Krawatte für sich entdeckt. „Der schlichte, schmale Schlips gehört neuerdings zum obligatorischen Dresscode bei vielen stilbewussten jungen Männern", beobachtet Gerd Müller-Thomkins, der Chef des Deutschen Mode-Instituts in Köln, der im vergangenen November Swingsänger Roger Cicero zum Krawattenmann des Jahres 2007 ausrief (siehe Interview).

„Die Jugendlichen greifen zum Schlips, einfach weil ihre Pop-Idole das tun“, sagt Etikette-Experte Moritz Freiherr von Knigge. Müller-Thomkins hält den Trend zudem für „einen stilistischen Stinkefinger“ gegen die Modemuffel unter vielen 1968er-Eltern. „Mit einem neuen Stilbewusstsein grenzen sie sich gegen ihre Altvorderen ab. Viele gehen jetzt gut angezogen in den Job aber auch in die Disco.“

Die Krawatte galt als unkreativ

Noch Anfang der 1990er Jahre hat der deutsche Handel rund 20 Millionen Krawatten an den Mann gebracht. Dann kamen die IT-Jungunternehmer mit offenen Haifischkrägen unter Gucci-Sakkos und stürmten die Manageretagen. Wer Krawatte trug, erschien altbacken, spießig, unkreativ, die Absatzzahlen rauschten 2002 mit 9,9 Millionen in den Keller.

Erst nachdem die große IT-Blase platzte, im Geschäftsleben niemand mehr auf nackthälsige Youngster vertrauen mochte, die plötzlich als gefährliche Blender galten, und zunehmend Stars mit Halsgebinde zu sehen waren, hieß es: Wieder ran mit dem Schlips. 2006 meldete der Einzelhandel 13 Millionen verkaufte Krawatten. Letztes Jahr knackte er die 15-Millionen-Grenze.

Man trägt "einfache" Schlinge

„Eine Million Stück verkauften die deutschen Händler allein an ganz neue, junge Kunden", berichtet Hajo Ploenes, Seniorchef beim gleichnamigen Krefelder Krawattenhersteller, einer der letzten, der noch in Deutschland fertigen lässt.

Bei jungen Männern die Renner sind die metallicfarbenen Schlipse von „Blick“, schwedische „Tiger“-Krawatten oder französische „April77“, berichtet Martin Obermayer, Geschäftsführer beim In-Modelabel Stierblut.

„Die passen gut zur körperbetonten Silhouette der schmalen Hemden mit schmaler Knopfleiste.“ Die konservative Binde-Etikette übrigens, mit Windsor- oder Prince-Albert-Knoten, ist passé. Mann trägt „einfache“ Schlinge, auch Four-in-Hand-Knoten genannt.

Inzwischen erfreut Hugo Boss die jungen Herren mit Seiden-Schmalschlipsen von Selection. Bugatti, Armani, Versage, Louis Vuitton, Joop, sogar der Oben-Ohne-Träger Tom Ford liefern zu ihren Zwei- und Dreireihern selbstverständlich die passenden Halsaccessoires. Dior Homme amüsiert mit dem Skinny Tie, dünn wie Tesastreifen und auch Hermès überrascht mit gewagten Lederbindern in Neonfarben.

"Farbenfroher, schlanker, auffälliger"

Die deutschen Ploenes-Chefs prophezeien für die Krawattengeneration von morgen: „Sie wird farbenfroher, schlanker, auffälliger denn je." Das Frühjahr startet mit grellem Rot – als Vorgeschmack auf die Regenbogenfarben fürs nächste Jahr. Dann kommen Froschgrün, helles Gelb, kräftiges Apricot bis zu sattem Orange.

Statistisch gesehen kauft sich der deutsche Mann nur etwa alle zwei Jahre eine neue Krawatte – für 29 bis 130 Euro. In jedem Herrenschrank lagern etwa ein Dutzend Krawatten, aber nur vier davon werden getragen. Sieht so aus, als würde sich das ändern. Die „Rekrawattisierung“ läuft.

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