Die Rache der Hotelgäste
Blumige Formulierungen und inszenierte Katalogbilder interessieren immer weniger Urlauber: Über 80 Prozent richten sich lieber nach den Bewertungen im Internet
„Grölende Engländer die ganze Nacht, an Schlaf ist nicht zu denken“, schreibt Simone über das Hotel Royal Beach auf Mallorca. „Im Badezimmer und in der Küche konnte man am deutlichsten feststellen, dass der Zahn der Zeit nichts verschont“, meint Marcel über das gleiche Haus. Nur 33 Prozent aller Gäste empfehlen es weiter. Ob hier noch jemand Urlaub machen will?
Wahrscheinlich nicht. Zumindest nicht diejenigen, die die Meinungen auf holidaycheck.de gelesen haben, dem größten Hotelbewertungsportal im Internet. Dass das Haus mit immerhin drei Sternen glänzt, blumigen Formulierungen und perfekt inszenierten Katalogfotos, interessiert immer weniger Menschen. Aktuellen Umfragen zufolge recherchieren über 80 Prozent aller Reisenden online, was andere Urlauber über das Hotel schreiben. Überwiegt das Negative, wird weitergeklickt.
Hoteliers berichten von Erpressungsversuchen
Während manche Hoteliers stöhnen, jubeln Verbraucherschützer. Endlich habe der Gast die Möglichkeit, seine Kritik auch öffentlich loszuwerden statt sie lediglich an der Rezeption zu Protokoll zu geben. Wollen die betroffenen Hotels das Meinungsbild zu ihren Gunsten verändern, müssen sie Missstände beheben.
Die Schattenseite: Erste Hoteliers berichten von Erpressungsversuchen durch Gäste, die angeblich einen Rabatt wollten und mit einer bösen Kritik drohten – räumen aber ein, dass es sich um Einzelfälle handelt. Außerdem gibt es den Vorwurf, dass Bewertungen manipulierbar seien, also vom Hotelier selbst stammen könnten.
Offenbar nicht ganz unberechtigt: Als die Stiftung Warentest extreme Lobhudeleien lancierte, griffen nur zwei Portale – Hotelkritiken.de und holidaycheck.de – ein, wobei sich Letzteres mit den meisten Bewertungen und einfacher Bedienbarkeit die Marktführerschaft erobert hat. Inzwischen bieten aber auch viele normale Reiseseiten wie Expedia.de gute Bewertungssysteme an.
Worauf Sie beim Lesen der Urteile achten sollten
Wo auch immer sie landen – mit diesen AZ-Tipps finden Sie sich besser im Bewertungsdschungel zurecht:
* Nicht nur auf die Prozentzahlen achten! 5 zufriedene Gäste von insgesamt 5 sagen natürlich weniger aus als wenn es 68 von 72 waren.
* Nachschauen, wer bewertet! Oft gibt es anonymisierte Angaben zu den Urlaubern. Klar, dass eine Familie mit zwei Kindern andere Ansprüche hat als drei junge Männer.
* Aktuelle Bewertungen bevorzugen! Vielleicht hat der Hotelier auf die Kritik reagiert. Diese Chance sollte man ihm fairerweise geben.
* Den Tonfall berücksichtigen! Wirkt ein Text übermäßig wütend und beleidigend, könnte es sein, dass sich der Reisende seinen Frust von der Seele schreiben wollte und übers Ziel hinausschießt. Sachliche Bewertungen liefern bestimmt ein objektiveres Bild.
* Selber bewerten! Sie kriegen ein besseres Gefühl für die Texte, lassen vor allem aber andere von ihren Erfahrungen profitieren – und das ist ja die Idee.
Timo Lokoschat
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