Die neue Masche

Selbermachen! Wie der Do-it-yourself-Trend die Deutschen begeistert – vom Stricken und Töpfern bis zum Schweißen
Da haben wir endlich Omas alte Singer-Nähmaschine bei Ebay verklopft, die Strick- und Häkelnadeln samt Töpferscheibe aus den 80ern auf den Wertstoffhof getragen – und jetzt das: Selbermachen ist wieder trendy. Zwei-Links-Zwei-Rechts-Eins-Fallengelassen, Stricken, Sticken, Häkeln, Nähen – Deutschland entdeckt den Charme des Heimeligen wieder: durch Handarbeit.
Erstaunlich, was im Internet unter Suchbegriffen wie „selbermachen“ alles auftaucht. Das Portal selbstgemacht.org, in dem sich Anleitungen zum Mosaiksteine selber legen oder Tinkturen selbermachen findet. Das Hamburger Strickblog knittinganarchist.de, tausende Male pro Tag geklickt. Die Webseite burdastyle.com mit Schnittmustern für alle Geschmäcker. Hilfen zum Eheringe selber schmieden, Gärtner- und Schrauber- Blogs. Sogar Sexspielzeug-Selberbasteln oder Atomausstieg-selber-machen scheint keine große Kunst zu sein angesichts differenzierter Handreichungen im Netz.
"Näht lieber selbst"
Nach den strickenden Hollywoodstars Madonna, Uma Thurman und Julia Roberts war es nun wohl die schrille Modeschöpferin Vivienne Westwood, die der neuen Do-It-Yourself-Bewegung den letzten Kick gegeben hat: „Kauft nicht meine Klamotten“, verkündete sie kürzlich in Paris, „näht lieber selbst!“ Die Zeitschrift „Brigitte“, in den 1980er Jahren das Flaggschiff der deutschen Strick- und Nähbewegung, hat sich das nicht zwei Mal sagen lassen: In der aktuellen Ausgabe liegen erstmals wieder Schnittmuster bei, mit denen sich eine ganze Sommergarderobe zusammenschneidern lässt. „Das Feedback ist fantastisch“, jubiliert Sprecherin Eva Kersting, „die Leserinnen wollen mehr!“
Dazu passt auch diese News: Die Zeitschrift „Landlust“, eher bieder mit ihren Anleitungen zur richtigen Bearbeitung von Kompost und zum Selbernähen von Kaffeekannenwärmern, meldet fürs erste Quartal 2009 ein Auflagenplus von 65 Prozent. Eine Sensation, angesichts des weltweiten Magazin-Massensterbens. Noch frappierender: Die erste Ausgabe des Magazins „Cut“ für Teens und Twens, die alles über Knopflochnähen und Kleiderschneidern wissen wollen, war im März nach wenigen Tagen ausverkauft. „Wir müssen nachdrucken“, verkündet Marketing-Frau Isabelle von Kuczkowski ziemlich perplex, und: „Unser Fanpostaccount quillt über“.
Die neue Bastelbewegung als Schutzreflex
Das neue Trendheft hat vor allem den Nerv der jungen Leute getroffen, denen beim Dauerklicken mit der Computermaus sinnliches Erleben mit den Händen abhanden gekommen ist. „Kaum einer schreibt, schneidert, schraubt ja heute mehr in seinem Job“, sagt die Marketinchefin, „die Jungen wollen mit ihren Händen kreativ sein.“ Nur Shoppen? Kann schließlich jeder.
Die neue Bastelbewegung passt in die neue deutsche Neigung zum Cocooning, dem Einigeln daheim als Flucht und Schutzreflex vor Zukunftsängsten. „Handarbeit gibt den Leuten das heimelige Gefühl, ihre kleine Welt überschauen zu können und dem globalen Wirtschaftschaos nicht so ausgeliefert zu sein“, sagt Trendforscher Peter Wippermann.
Laut einer Studie des Instituts Allensbach finden 57 Prozent der Deutschen Selbermachen wieder spannend. Drei Viertel greifen laut einer Ipsos-Umfrage selbst zu Akkuschrauber und Wasserwaage. Und wer Gebasteltes verschenkt, läuft nicht mehr Gefahr, belächelt oder als pleite bemitleidet zu werden: 85 Prozent der Deutschen Freude sich angeblich mehr über gestrickte Topflappen als den dritten MP3-Player.
Auch Keramikkurse boomen
Womöglich deshalb erleben Volkshochschulen und freie Werkstätten in der ganzen Republik einen Zulauf, wie er vor Jahren undenkbar gewesen wäre. Näh-, Strick- und Klöppelkurse sind in München wie Berlin überfüllt – mit langen Wartelisten. Auch Keramikkurse boomen nach Jahren, in denen Töpfern als Ökolangweilerhobby galt: Doppelt so viele Seminare wie 2008 laufen aktuell an der Isar, und hier stürmen immer mehr Männer die Do-It-Yourself-Kurse: Schweißen, Löten, Messer selber schmieden am offenen Feuer, lauter Renner.
Was Hobby-Designer entwerfen, kommt rasend gut an. Auf dawanda.com etwa bieten 25000 Bastler mehr als 350000 Einzelstücke wie gehäkelte Teekannenwärmer, aus Safttüten geklebte Geldbeutel oder gefilzte Ohrringe an, ähnlich wie auf creadoo.de oder etsy.com, dem US-Pendant – und der Absatz boomt.
Banker und Aktienjongleure tun übrigens gut daran, den Bastel-Trend im Blick zu behalten. „Sobald wir sehen, dass auch Männer verstärkt stricken, ist nach volkswirtschaftlichen Erfahrungen die Krise bald vorbei“, sagt Trendforscher Wippermann. Und Omas Singer-Nähmaschine kann getrost wieder auf den Dachboden.
Irene Kleber