»Die Macht der Hüfte«

Sie waren die schönsten Gesichter der Apo. Jutta Winkelmann und Gisela Getty bilden das spannungsvollste Geschwistergespann seit Kain und Abel. Die 68er-Zwillinge erzählen im Interview über Locken und Geld, Uschi Glas und Bob Dylan, Kratzen und Beißen.
von  Abendzeitung
"Das Herz ist schon an die Schwester vergeben": Jutta Winkelmann und Gisela Getty.
"Das Herz ist schon an die Schwester vergeben": Jutta Winkelmann und Gisela Getty. © Klaus Baum

Sie waren die schönsten Gesichter der Apo. Jutta Winkelmann und Gisela Getty bilden das spannungsvollste Geschwistergespann seit Kain und Abel. Die 68er-Zwillinge erzählen im Interview über Locken und Geld, Uschi Glas und Bob Dylan, Kratzen und Beißen.

Hanni und Nanni, das doppelte Lottchen – von wegen! Jutta Winkelmann und Gisela Getty bilden das spannungsvollste Geschwistergespann seit Kain und Abel.

Dabei haben die schönen Zwillinge in den vergangenen 58 Jahren nahezu alles schwesterlich geteilt: den Ausbruch aus der Kasseler Spießerwelt Ende der 60er zum Beispiel, das Kunststudium, die Joints und die Stars. Die endlose Selbstbeschau, den Langhans und fast sogar Bob Dylan. Die AZ sprach mit den (un)gleichen Münchnerinnen.

AZ: Frau Getty, Frau Winkelmann, werden Sie lieber einzeln interviewt?

JUTTA WINKELMANN: Im Prinzip schon.

Warum?

GISELA GETTY: Weil wir uns hinterher immer streiten, wer mehr gesagt, sich mehr in den Vordergrund gespielt hat. Eine Erbsenzählerei und typisches Zwillingsverhalten.

Sollen wir’s wagen?

WINKELMANN: Wenn die erste Wut gestillt ist, dass man nicht zum Zug kommt, wird man großzügiger.

Immerhin haben Sie gerade gemeinsam eine Autobiografie verfasst.

GETTY: Wir haben getrennt daran gearbeitet und erst relativ am Ende gesehen, was die andere geschrieben hat.

Und? Gab’s Ärger?

WINKELMANN: Natürlich, eine echte Achterbahn.

GETTY: Auf und ab, durch alle Gespenster der Zwillingswelt.

Was ist das Problem?

WINKELMANN: Man fragt sich: Warum schreibt sie da so komische Sachen? Anzuerkennen, dass die Schwester so gleich und doch so anders ist und empfindet, das war der schwierige Prozess für uns. Wenn ich das Gefühl hatte, Gisela schreibt besser als ich, kriegte ich eine richtige Hasswut auf sie.

GETTY: Manchmal waren auch nur Kleinigkeiten der Auslöser, von denen manche Leute sagen würden: Sag mal, spinnt ihr? Zum Beispiel, wer welche Drogen besorgt hat.

Beim Schreiben half ein Mann, der Schriftsteller Jamal Tuschick.

WINKELMANN: Er ist quasi der Drilling gewesen, hat sich in uns eingefühlt und im Wesentlichen auch nicht wirklich Partei für eine Seite ergriffen.

Im Wesentlichen auch nicht wirklich? Das klingt nicht ganz überzeugt.

WINKELMANN: Nun, die üblichen Verdächtigungen: Der mag dich lieber und so weiter.

Waren Sie in ihn verliebt?

GETTY: Wir beide. Das Schreiben ist eine intime Sache. Wir haben uns ihm geöffnet. Er hat eine Riesenportion abbekommen, Liebe und Hass.

Wollte er zwischendurch das Handtuch werfen?

WINKELMANN: Ja, er hat zum Verleger gesagt: Mit denen kann ich nicht weiterarbeiten, diese Frauen sind Mörderinnen, die bringen mich um.

Hatten Sie das angekündigt?

GETTY: Eigentlich nicht.

Sein Frauenbild ist wohl für immer beschädigt . . .

WINKELMANN: Schon möglich. Zu uns sagte er: Wegen euch kann ich meine Freundin kaum noch unbefangen ankucken. Ich weiß jetzt, was unter der Oberfläche lauert.

Normalerweise lassen Sie nur einen Mann so dicht an sich ran: Rainer Langhans, mit dem Sie zusammenleben – im so genannten Harem.

GETTY: Wie ich diesen Ausdruck hasse!

Wir dachten, Sie hätten ihn mit erfunden.

WINKELMANN: Rainer war’s.

GETTY: Wir spielen mit diesem Begriff, der mit vielen blöden Vorstellungen verbunden ist – zum Beispiel jener, dass der Mann der Chef ist.

WINKELMANN: Dabei ist es bei uns genau umgekehrt. Wir haben Rainer erfunden.

Manche fragen sich: Was finden Sie an diesem Mann? Sind es die Haare?

WINKELMANN: Nur die Haare! (lacht)

GETTY: Was unter den Haaren ist. Rainer ist ein spannender Denker und eine Herausforderung.

WINKELMANN: Eine unermüdliche Selbsterkenntnismaschine.

Und ein Macho?

GETTY: Im Gegenteil. Er will durch uns seine weibliche Seite kennenlernen und erforschen. Rainer hat keine Angst vor Frauen, er steht nicht unter der Macht der Hüfte.

Was hat er mit Bob Dylan gemeinsam?

GETTY: Beide sind sehr selbstreferenziell und haben verstanden, dass es in diesem Leben nur eine wichtige Verabredung gibt: die mit sich selbst.

WINKELMANN: How does it feel to be on your own? Diese Frage hat Dylan ja schon 1965 in „Like a Rolling Stone“ gestellt und das war auch ein Versprechen. Der Song war die Hymne unserer Erweckung.

Im Buch steht, dass Sie sich auf einer Party um den Musiker geprügelt haben. Wie konnte das passieren?

GETTY: Es war eine kurze, hochgekochte Emotion.

Mit Kratzen und Beißen?

WINKELMANN: Mit Fäusten und Tränen. Wir schlugen wie wahnwitzig aufeinander ein. Wie Mädchen eben, die sich nicht trauen zuzuschlagen, aber doch irgendwie verzweifelt sind.

GETTY: Hinterher haben wir uns einen Trip geteilt.

War Dylan es wert?

WINKELMANN: Absolut.

GETTY: Wenn nicht er, wer dann?

Um welchen Mann würden Sie sich wieder schlagen?

WINKELMANN: Um Bob Dylan.

Die Scheidungsrate bei Zwillingen ist besonders hoch. Woran liegt das?

GETTY: Das Herz, das man dem Partner schenkt, ist eigentlich schon vergeben: an die Schwester.

Sie haben ja auch zu dieser Statistik beigetragen.

WINKELMANN: Ich bin einmal geschieden. Das ist normal.

GETTY: Ich drei Mal. Auch nicht ungewöhnlich – für amerikanische Verhältnisse.

Sie waren unter anderem mit dem US-Milliardärssohn Paul Getty verheiratet. Waren die Locken so faszinierend oder war es das Geld?

GETTY: Er hatte ja damals keins. Er war ein wilder und wunderhübscher Junge, und durch seine Herkunft auch ein Außenseiter wie wir als Zwillinge.

WINKELMANN: Wir wollten eine Insel der erleuchteten Kreativen gründen.

Er sollte die Kohle liefern.

GETTY: Ja, wir hatten mit Paul sogar spaßeshalber darüber gesprochen, seine Entführung zu inszenieren, damit sein Vater Lösegeld zahlt.

WINKELMANN: Die andere dann traurigerweise ernsthaft durchgezogen haben.

Was war das kriminellste, das Sie jemals getan haben?

WINKELMANN: Drogen. Wir haben alles probiert. Aber das sehe ich natürlich nicht kriminell. Es waren Zugänge zum mystischen Erleben – die ich heute nicht mehr empfehle.

Warum sind Sie keine Terroristin geworden wie zum Beispiel Ulrike Meinhof?

WINKELMANN: Aus Zufall.

GETTY: Am Anfang haben wir mit ihnen sympathisiert. Aber es war der falsche Weg. Die spielerischen Protestaktionen der Kommune I...

WINKELMANN:...fanden wir schon immer liebenswerter, faszinierender und inspirierender.

Eine Inspiration finden Sie heute in der Fotografie. Wen würden Sie gerne ablichten?

GETTY: Xavier Naidoo. Intelligente Texte, ungewöhnliche Stimme, guter Künstler. Er hat etwas Authentisches.

WINKELMANN: Amy Winehouse. Eine ungewöhnliche Frau – mal nicht aus der Retorte.

Von Ihnen existieren viele schöne erotische Fotos. Würden Sie sich heute für den Playboy ausziehen?

GETTY: Ja. Ich bin dagegen, dass man sich seines Körpers schämen muss, wenn man älter wird.

WINKELMANN: Natürlich müsste man das mit einer gewissen Selbstironie inszenieren. Zum Beispiel als gefallener Engel, mit zerrupften Flügeln. Es muss dabei um Freude und Distanz zu sich gehen und nicht darum, sich oder anderen etwas beweisen zu wollen, wie Uschi Obermaier eben auch manchmal.

Die Schauspielerin Uschi Glas hat sich, als sie ungefähr so alt war wie Sie, ebenfalls freizügig fotografieren lassen.

GETTY: Sie war mutig und sie war schön. Wir fanden sie danach richtig liebenswert.

Und was lieben Sie an Ihrer Zwillingsschwester?

GETTY: Ihren kämpferischen Geist.

WINKELMANN: Ihren brillanten Humor. Und dass man immer auf eine Überraschung gefasst sein muss.

GETTY: Sie ist auch ein Schutzengel in meinem Leben.

WINKELMANN: Einfach eine große Liebe.

Ein versöhnliches Ende...

WINKELMANN: Wir warten, bis die AZ weg ist.

Interview: Timo Lokoschat

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