Die Last mit den Achsen
Problemfall ICE: Schon kleinste Risse am Fahrgestell können sich verheerend auswirken
FRANKFURT Auch gestern waren in ganz Deutschland Fahrgäste der Bahn vom Ausfall zahlreicher ICE-Züge betroffen. Besonders auf den Strecken Hamburg-Berlin-Leipzig-München und Dortmund-Koblenz-Mainz- Frankfurt-Nürnberg-Passau kam es außer zu Verspätungen auch zu Zugausfällen. Grund ist die Überprüfung der Achsen fast aller 67 Neigezüge vom Typ ICE-T.
Bis zum Freitag werden die Achsen auf mögliche Beschädigungen untersucht. Dabei werden Ultraschall-Geräte eingesetzt, die sogar von außen nicht sichtbare Fehler entdecken können.
Das von dem Gerät gelieferte Bild zeigt ein unverständliches Gewirr von Linien, die dem Experten aber jeden noch so feinen Haarriss verraten. Und schon die sind gefährlich.
Warum erklärt der AZ Experte Christian Wolf, Fachredakteur beim „Eisenbahn-Kurier“: „Die Achsen sind praktisch Tag und Nacht unter Dauerbelastung. Sie müssen bei Geschwindigkeiten von oft mehr als 300 Stundenkilometern sämtliche Stöße von den Schienen ungefedert abfangen. Da wird dann aus einem feinen Haarriss schnell ein größerer und später dann ein Achsbruch.“
Als Ursachen für Haarrisse kommen nach Meinung von Wolf neben möglichen Fabrikationsfehlern vor allem Transportschäden oder Steinschlag im laufenden Betrieb in Frage.
Die Hersteller der Züge betonen immer wieder, dass die Achsen genau entsprechend den Bauvorschriften gefertigt werden, doch das überzeugt Christian Wolf nicht: „Auch wenn die Legierung aus exakt den gleichen Bestandteilen besteht, kann es einen Unterschied machen, ob das Material in China oder in Europa hergestellt wurde.“
Noch weiter geht in seiner Kritik Professor Vatroslav Grubisic, anerkannter Experte für Zugräder und Achsen, früher beim Fraunhofer Institut für Betriebsfestigkeit. Grubisic zur AZ: „Nach meiner Ansicht sind die Achsen nicht für die hohe Belastung ausgelegt, der sie tatsächlich ausgesetzt sind. Die wurde wohl einfach unterschätzt.“
Und das kann sich gravierend auswirken: Ist die Belastung nur 10 Prozent höher als zulässig, halbiert sich bereits die Lebensdauer der Achsen. Grubisic: „Das heißt, sie müssen dann doppelt so oft wie ohnehin schon zur Überprüfung. Und das wird teuer.“
Auch schlägt der Experte vor, die Achsen künftig per Computer zu untersuchen: „Das kann während der Fahrt vom Führerstand aus geschehen, wenn die entsprechenden Geräte eingebaut sind. Dann müsste ein ICE nur dann wirklich ins Depot, wenn seine Achsen einen Fehler aufweisen.“
Den Fahrgästen blieben Zugausfälle und Verspätungen dann weitgehend erspart. Michael Heinrich
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