Die innere Uhr: Wir ticken nicht richtig
Ein Münchner Forscher schlägt in seinem neuen Buch Alarm und sagt im AZ-Interview, warum man eigentlich später zur Arbeit gehen sollte
AZ: Herr Professor Roenneberg, warum läuft unsere innere Uhr falsch?
TILL ROENNEBERG: Wir sehen zu wenig Licht, arbeiten und sind zu viel drinnen. Selbst in gut ausgeleuchteten Räumen ist das Licht bis zu 1000 Mal schwächer als unter freiem Himmel. Je schwächer aber das Licht, desto später tickt bei den meisten Menschen die innere Uhr.
Was bedeutet das?
Wir schlafen zu wenig – von Jahr zu Jahr immer weniger. Wenn Körper und Geist frühmorgens noch müde sind, müssen wir aufstehen, lernen oder zur Arbeit. Das Ende des Schlafes wird uns weggenommen. Dabei ist gerade das wichtig fürs Gedächtnis. Und das Gehirn funktioniert bei den meisten – eher auf spät eingestellten – Menschen eh erst gegen 10 Uhr richtig gut.
So spät zur Arbeit zu kommen, kann sich kaum jemand leisten.
Das ist die Schizophrenie unserer Zeit. Wir müssen eine 24-Stunden-Gesellschaft aufrecht erhalten und gleichzeitig haben wir unsere moralischen Vorstellungen: Wer um 8 Uhr am Arbeitsplatz ist, ist der Beste. Wer um 9 kommt, geht auch noch. Aber wer um 10 kommt, den kann man vergessen.
Wie können wir Job und innere Uhr verbinden?
Wenn wir schon eine globale Wirtschaftstruktur gestalten, sollten wir auch eine Flexibilität der individuellen Arbeitszeiten zulassen. Wenn ein Arbeitnehmer bittet, von 10 bis 18 Uhr arbeiten zu dürfen anstatt von 8 bis 16 Uhr, dann zeigt er seinem Chef: Ich will mein Bestes geben!
Spätaufsteher, in der Chronologie Eulen genannt – im Gegensatz zu den Lerchen, den Frühaufstehern – gelten gern als Faulenzer.
Ein weit verbreiteter Schmarrn. Wenn jemand ein später Chronotyp ist oder mehr Schlaf braucht als andere, liegt das an seinen Genen, nicht an seiner Faulheit.
Was passiert, wenn man auf Dauer gegen seine innere Uhr lebt?
Es kommt zu einem „sozialen Jetlag“ – ähnlich dem Jetlag, den wir nach Flügen über Zeitzonen erfahren. Nur müssen sich die Betroffenen hier meist ein Leben lang mit ihm herumplagen. Chronischer Schlafmangel kann dick machen, zu Diabetes, dem metabolischen Syndrom, Magenerkrankungen und Depressionen führen.
Mancher Chronotyp wünscht sich, er wäre abends so müde wie morgens. Was tun, wenn Schäfchenzählen nicht hilft?
Wer spät einschläft, sollte morgens versuchen, so viel Licht wie möglich draußen zu tanken und abends Licht vermeiden. Diejenigen, die zu früh müde werden und zu früh aufwachen, sollten Licht am Morgen vermeiden und es abends tanken.
Am 28. März wird uns eine Stunde gestohlen, auf Sommerzeit umgestellt. Warum fällt vielen diese Umstellung schwerer als das Ende der Sommerzeit?
Das sind die Spät-Typen, die eine starke innere Uhr haben und sich nicht an die Sommerzeit anpassen können. Sie schlafen über den Sommer zu wenig. Eine „Licht-Therapie“ kann etwas helfen.
75 Prozent der Deutschen, schreiben Sie, brauchen einen Wecker. Wie wacht man von alleine auf?
Alle Chronotypen können es üben, zu einem bestimmten Zeitpunkt aufzuwachen. Damit wird aber nicht die innere Uhr umgestellt. Auch wenn es gelingt, täglich um sechs aufzuwachen, leidet man dennoch an Schlafmangel.
Kann ein Früh-Typ nachts als Bar-Pianist erfolgreich sein?
Wenn er gerade aus den USA eingeflogen ist, noch unter Jetlag leidet, fällt ihm nicht der Kopf auf die Tasten. Sobald sich seine innere Uhr angepasst hat, wird’s schwierig.
Wie kommen unterschiedliche Chronotypen in der Ehe klar – zum Beispiel, wenn Er abends im Doppelbett noch lesen, Sie aber das Licht ausmachen und schlafen möchte?
Bei Vorträgen vor einem nicht wissenschaftlichen Publikum beginne ich häufig mit so einem Fallbeispiel und frage nach, ob den Zuhörern die Situation vertraut vorkommt.
Und?
90 Prozent aller Hände sind oben. Die verschiedenen Zeitgewohnheiten scheinen fast symbolisch für die vielen anderen Unterschiede zu stehen, die sich in einer langjährigen Partnerschaft entwickeln.
Empfehlen Sie getrennte Schlafzimmer?
Auf keinen Fall. Dass zwei Menschen unterschiedliche Chronotypen sind, hat sie am Anfang ihrer Liebe ja gerade zueinander gezogen. Da sollte man mit den Jahren nicht starrsinnig werden und auf Gleichheit bestehen.
Sondern?
Ältere wie jüngere Paare müssen sich einfach nur arrangieren. Der frühaufstehende Partner schleicht sich morgens raus, bereitet das Frühstück vor. Und, wenn ein Baby da ist, übernimmt er das 4-Uhr-Fläschchen. Das kann alles sehr liebevoll ablaufen, man muss es nur probieren.
Und wie kann sich jeder mit seiner inneren Uhr arrangieren, damit sie richtig tickt?
Eigentlich tickt sie ja richtig, nur nicht zu den Zeiten, die unsere Gesellschaft verlangt. Mehr Licht und mehr Flexibilität wären da ein guter Ansatz. Interview: Renate Schramm
Chronotyp - welcher sind Sie?
Das Buch (Dumont, 240 S., 19,95 Euro) hat ihm viel Spaß gemacht, schreibt Till Roenneberg im Vorwort – und der Funke zündet. Wissenschaftliche Informationen und amüsante Fallbeispiele, die sich wie Kurzgeschichten lesen – bringen uns unser Innenleben nahe. Einen Fragebogen zum Chronotyp gibt’s im Internet auf theWeP.org mit.
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