Die ganze Welt ist auf dem Bio-Trip

Auf der Ökomesse verdeutlichen Indien und die USA, wie wichtig Biolandbau in Zukunft wird. Nur Bayern hat das offenbar verpennt  
Matthias Maus |
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Indien wird immer wichtiger als Erzeuger von Bio-Produkten. Schon in vergangenen Jahren waren indische Hersteller auf der Biofach zu Gast – wie hier Sat Hari Singh (Mitte) von Golden Temple Natural Products.
Jörg Koch, ddp/dapd Indien wird immer wichtiger als Erzeuger von Bio-Produkten. Schon in vergangenen Jahren waren indische Hersteller auf der Biofach zu Gast – wie hier Sat Hari Singh (Mitte) von Golden Temple Natural Products.

Auf der Ökomesse verdeutlichen Indien und die USA, wie wichtig Biolandbau in Zukunft wird. Nur Bayern hat das offenbar verpennt

Die Vize-Ministerin will gar nicht mehr weg. Es gibt Entenbrüstchen, sie interessiert sich für die Ziegensalami, das Ingwer-Bier findet sie nicht so doll am Dänemark-Stand, aber ausführlich lässt sie erklären, wie man die wunderbare Selleriecreme hinbekommt. Bis die Mitarbeiter nervös weiterdrängen. Die „Biofach“ ist groß, und es gibt so viel zu sehen:

„Sehr gut“, sagt die Politikerin, und sie klingt wirklich angetan, von der weltgrößten Öko-Show in Nürnberg. Nur – leider – Kathleen Merrigan ist keine bayerische Ministerin, nicht einmal ein deutsche. Aus Washington ist sie hier eingeflogen, um einen Vertrag mit der EU zu unterzeichnen: Es geht um die gegenseitige Anerkennung von Biosiegeln: „Das wird ein Riesenboom“, sagt der Sprecher von Frau Merrigan.

Vielleicht ist das etwas übertrieben. Aber die Euphorie steht im krassen Kontrast zur örtlichen Wurschtigkeit: Die desinteressierte Abwesenheit bayerischer Spitzenpolitiker schürt den Verdacht: Sie können oder sie wollen die Zeichen der Zeit nicht verstehen, die Seehofers, die Aigners und die Hubers. Seit Jahren ist die Biofach die Leitmesse für die Branche, 2400 Aussteller aus 80 Ländern werben für ihre Produkte – von H-Milch aus den mongolischen Steppen bis zu glutenfreiem Hundefutter mit Aloe Vera.

Und doch ist die Messe keine esoterische Freakshow, sondern Demonstration einer Wachstumsbranche. 6,59 Milliarden Euro wurden 2010 in Deutschland für Bio-Produkte ausgegeben, nur in den USA waren es mit 20 Milliarden mehr. Im zweitgrößten Biomarkt der Welt bedeutet das ein Wachstum von neun Prozent. Nicht viele Branchen in Deutschland haben solche Zahlen.

Was nicht so schnell wächst mit dem Bedarf ist die Anbaufläche. Rund 23 000 Bauern wirtschaften ökologisch in Deutschland, das sind 1061 mehr als 2010, die Fläche stieg gar nur um 1,5 Prozent: „Hier hat die Politik die völlig falschen Weichen gestellt“, sagt Jan Plagge von Hersteller-Verband Bioland: „Die konventionellen Landwirte dürfen die Umwelt belasten, ohne für die Kosten aufkommen zu müssen.“ Das müsse aufhören.

Genauso falsch sei „die Vermaisung“ landwirtschaftlicher Fläche zu fördern. Statt Biosprit und damit den Maisanbau zu fördern, sollte besser die nachhaltige Landwirtschaft subventioniert werden. Tatsächlich steigert der Mais-Boom die Pachtpreise und macht so den Umstieg auf Öko-Landwirtschaft unattraktiv: „Hier hat Bundesumweltminister Norbert Röttgen total versagt“, sagt Plagge.

Dass es auch anders geht, zeigen die Gäste, nicht nur die aus den USA. Die Obama-Regierung fördert den Umstieg auf Bio-Landwirtschaft mit Starthilfe. Und die Regierung in Indien schaltet sogar Fernsehspots für den Öko-Umstieg. „70 Prozent unserer Bevölkerung sind unter 30“, erklärt Dr. Pelva Gouri die Lage in Indien. Das sind schwindelerregende 780 Millionen. „Davon gehören 150 Millionen einer gebildeten Mittelschicht an: Das ist ein riesiger Markt.“

Es habe ein „gigantischer Gesinnungswandel“ stattgefunden in Indien, hier wird nicht gebremst, sondern Gas gegeben. Leute wie Felf Prinz zu Löwenstein hören so etwas mit gemischten Gefühlen: Immer mehr immer, öfter muss der Bio-Bedarf durch Exporte gedeckt werden: Kartoffeln, Karotten und Äpfel werden bis zu 50 Prozent importiert. „Wir brauchen 10 000 neue Betriebe“, sagt der Prinz, Chef der Bio-Bauern vom Bund ökologischer Lebensmittelwirtschaft. Und er hat noch eine andere Sorge: „Die Messe darf nicht zur kulinarischen Glitzer-Show werden. Wir haben auch eine Verpflichtung.“

Steif und fest behaupten Lobbyisten wie Bioland-Mann Plagge und Löwenstein, mit Öko-Landwirtschaft könne man die ganze Welt ernähren. „Die Potenziale der biologisch produzierenden Landwirtschaft sind längst nicht ausgeschöpft und es drohen keine Engpässe“, heißt es in einer Studie des Weltverbands Ifoam. Überall schein man an Bio zu glauben. Vielleicht spricht sich das auch mal in die Staatsregierung herum.

 

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