Die "Bravo" wird 60 - Ein Mythos altert nie
München - Es gab eine Zeit, in der auf dem Schulhof nichts ging ohne die "Bravo“. Teenager im ganzen Land fieberten auf den Donnerstag und die neue Ausgabe hin, Boyband-Poster von den Beatles über Take That bis zu Tokio Hotel wurden aufgehängt. Generationen von Jugendlichen lasen die Tipps von Dr. Sommer unter der Bettdecke. Der Musikjournalist Alex Gernandt arbeitete von 1988 bis 2013 für die legendäre Jugendzeitschrift – zuletzt als Chefredakteur. Das Interview.
Alex Gernandt: Der 50-Jährige interviewte Michael Jackson 16 Mal.
AZ: Herr Gernandt, haben Sie alle "Bravo“-Ausgaben zu Hause?
ALEX GERNANDT: "Nein, aber die aus meiner Zeit – von 1988 bis 2013 – habe ich gesammelt. "Bravo“ war immer mehr als ein Job für mich. Schon in meiner Jugend war ich ein begeisterter Leser. Und im Job habe ich später alle meine Rock-Heroen treffen dürfen, etwa Deep Purple, Led Zeppelin, AC/DC, Black Sabbath..."
Fehlt Ihnen jemand in Ihrer Sammlung?
"Ja, Mick Jagger und Keith Richards von den Rolling Stones. 2Pac und Eminem hätte ich auch gern mal interviewt."
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Die Rolling Stones auf dem "Bravo“-Cover – das wäre heute wohl undenkbar...
"Ja, der Jugendwahn hatte irgendwann auch "Bravo“ erreicht. Ich habe zu meiner Reporter-Zeit noch Paul McCartney interviewt, Tina Turner, Joe Cocker, Phil Collins, Brian May von Queen. Die waren damals alle schon Ü40, aber trotzdem noch Thema für "Bravo“. Für Jugendliche spielte das Alter damals noch keine so große Rolle."
Wann hat sich das geändert?
"Anfang 1994, als Viva den Sendebetrieb aufnahm. Die haben vermehrt deutsche und jüngere Künstler gespielt. Da kam dann Techno und Euro Dance, und wir mussten uns anpassen. "Bravo“ war immer Bindeglied zwischen Künstler und Fan. In Zeiten vor Facebook, Twitter und Instagram musste man als Fan "Bravo“ lesen, um zu wissen, was bei den Lieblingsstars los ist.
Heute ist das natürlich völlig anders. Justin Bieber, Miley Cyrus, Rihanna oder auch die Fußballstars informieren ja mehrmals täglich über Social Media, was bei ihnen gerade Sache ist."
Warum hat die Marke "Bravo“ heute nicht mehr den Stellenwert von früher?
"Zeiten ändern sich und damit auch die Mediennutzung. Wenn man früher einen Artikel für "Bravo“ geschrieben hatte, lasen den bis zu sechs Millionen Leser. Die Zeitschrift wurde wöchentlich über eine Million Mal verkauft und ging dann im Schnitt durch vier bis fünf Hände. Damit hatte man eine gewaltige Reichweite – und auch eine große Verantwortung. Aber "Wetten, dass..“ hatte vor 20 Jahren auch noch 13 Millionen Zuschauer."
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Wie wichtig ist "Bravo“ die Arbeit des Dr. Sommer-Teams?
"Noch immer extrem wichtig. Dr. Sommer wurde früher von vielen Eltern verteufelt, aber insgeheim waren sie froh, dass es jemanden gab, der die Kinder aufklärt, und sie es nicht selbst machen müssen. Deutschland liegt bei Teenager-Schwangerschaften weit hinter Ländern wie Frankreich oder Großbritannien, und ich denke schon, dass Dr. Sommer dabei eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt – auch heute noch."
Gerade in den 90ern hat "Bravo“ Karrieren von Boybands oder Gruppen wie der Kelly Family befeuert...
"Die Zeitschrift war in der Tat immer auch Star-Macher. Das ging gleich 1956/57 mit Elvis Presley los, dann kamen die Beatles. Manche erinnern sich an die "Bravo Beatles Blitz-Tournee“ 1966. Bravo war das erste Medium, das über den "King“ und die "Fab Four“ berichtet hat.
In den 80ern gab es die Neue Deutsche Welle mit Nena und die Boybands der 90er waren auch 100-Prozent-Themen für "Bravo“. Wir haben auch Britney Spears und Rapper Sido medial entdeckt, ebenso Tokio Hotel und Take That. Robbie Williams und Co. haben sogar 1992 auf unserer internen Weihnachtsfeier im Künstlerhaus in München gesungen."
Und was ist dann mit "Bravo“ passiert?
"Irgendwann kamen Social Media und Justin Bieber. Justin Bieber hat unglaublich polarisiert – die eine Hälfte war für, die andere gegen ihn. Dann ging es los mit Facebook-Kommentaren und dem Dissen von Stars. Facebook hat den Jugendlichen eine weitere Stimme gegeben.
Wenn die "Bravo“ früher propagierte: "Backstreet Boys, die neue Super-Gruppe aus den USA“ – dann wurde das angenommen. Heute haben sich die Kids emanzipiert, sind viel selbstbewusster und haben über Social Media Kanäle gefunden, sich selbst zu inszenieren und ihre Meinung öffentlich kundzutun. Das Angebot wurde fragmentierter, und das hat es für "Bravo“ nicht einfacher gemacht."
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Was sind rückblickend die Highlights Ihrer "Bravo“-Karriere?
"Da gab es einige. Ich war bei Shakira in Miami zu Hause, durfte mit Céline Dion im Privatjet fliegen, habe Beyoncé mehrfach interviewt. Aber das Highlight meiner Karriere war natürlich die Zusammenarbeit mit Michael Jackson, mit dem ich 16 Mal unterwegs war, zum Beispiel beim Dreh des "Scream“-Videos.
Ich erinnere mich auch gern an die Reportage über Michael Jackson in den Slums von Rio, als er dort das Video zu "They Don’t Care About Us“ gedreht hat. Das waren spannende Zeiten."
Wie lange geht das noch gut mit der "Bravo“?
"Ich bin ja kein Hellseher. Ich drücke "Bravo“ alle Daumen. "Bravo“ ist ein Phänomen und eine Legende in der deutschen Medienlandschaft und hat es über sechs Jahrzehnte geschafft, relevant zu bleiben."
Die AZ-Redakteure über ihre "Bravo"-Erlebnisse:
Blick in eine neue Welt
Kimberly Hoppe: "Wird man vom Küssen schwanger? Warum ist sein Penis schief? Diese wichtigen Fragen konnte einem zu Teenie-Zeiten nur die "Bravo“ beantworten. Dr. Sommer klärte auf, dazu gab’s Popstars satt und natürlich die Foto-Love-Story. Mit meinen Freundinnen habe ich die "Bravo“ in den Schulpausen gelesen, oft kichernd, immer interessiert. Sie war ein Blick durchs Schlüsselloch in eine neue aufregende Welt."
Wände dicht!
Philipp Seidel: "Einer der Gründe, die "Bravo“ zu kaufen, waren die Poster von Musikern und Schauspielern. Rock- und Pop-Stars (wobei man zwischen denen damals noch keinen Unterschied gemacht hat – es waren halt die Stars, die man so hörte und sah). Die Poster der wirklich Wichtigen wurden an die Jugendzimmer-Wand geklebt. Es wurden mehr und mehr. Irgendwann half nur noch ein Umzug."
Trotzdem verdorben
Florian Zick: "Ich hatte in meiner Jugend ein striktes "Bravo“-Verbot. Zu viel Sex, zu viel Rock’n’Roll – da werde ich nur verdorben, befanden meine Eltern. Zu Hause lag das Teenie-Magazin jedenfalls nie herum. Ein Hoch deshalb auf die Stadtbücherei. Neben Winnetou und Pippi Langstrumpf gab es dort auch – tada – die verbotenen Heftchen. So ein Sündenpfuhl. Ich bin wirklich gerne in die Stadtbücherei gegangen."
Heimlich gelesen
Sophie Anfang: "Mit zwölf fand ich die "Bravo“ toll – meine gleichaltrige Nachbarin auch. Nur durfte die sie eigentlich nicht lesen. Ihre Eltern waren dagegen. Wie gut, dass sie nur wenige Schritte über den Hausflur gehen musste, um in meinem Kinderzimmer das Neuste der deutschen, englischen und amerikanischen Stars und Sternchen zu lesen. Heimlich, ui, wie aufregend! Im Internetzeitalter natürlich unvorstellbar."