Die Angst vor der Angst
Heute ist internationaler „Face Your Fears Day“, der Tag, an dem sich Menschen ihren Phobien stellen sollen. Jeder ist potenziell betroffen – denn als Auslöser kommt offenbar so gut wie alles in Frage
Als Giulia Siegel im RTL-Dschungelcamp offenbarte, Angst vor Wasser, Spinnen und Schlangen zu haben, wurde sie in eine Kiste mit Wasser, Spinnen und Schlangen gesperrt – und stolzierte anschließend strahlend heraus. Zwei Erklärungsmodelle kommen in Frage: 1.) Frau Siegel hat über ihre Phobien die Unwahrheit gesagt, oder 2.) die „Konfrontationstherapie“ hat gewirkt.
Die gibt’s tatsächlich, wenn auch weniger vulgär als im VIP-Dschungel: Bei der von Psychologen angewandten „systematischen Desensibilisierung“ setzen sich Patienten schrittweise ihrer Angst aus, ein Spinnenphobiker schaut sich zum Beispiel zunächst einen Film über die Tiere an.
Die härtere Variante ist das „Flooding“. Hier stellt sich der Betroffene auf einen Schlag der gefürchteten Situationen, ein Höhen-Phobiker etwa betritt todesmutig die Aussichtsplattform eines Wolkenkratzers. Heute soll laut dem amerikanischen Kommunikationstrainer Steven Hughes ein besonders günstiger Zeitpunkt sein. 2007 erklärte er den 13. Oktober einfach mal zum „Face Your Fears Day“, dem Tag, an dem man sich mit seinen Ängsten konfrontieren solle.
Wer glaubt, eh nicht betroffen zu sein, sollte sich zunächst einmal unseren Überblick medizinisch anerkannter Phobien zu Gemüte führen. Wäre doch gelacht, wenn man da nicht fündig wird:
Ein bisschen mulmig in der Dunkelheit dürfte ja den meisten zumute sein: Achluophobiker dagegen stehen fast Todesängste durch, gehen abends nicht aus dem Haus und bei Stromausfall nicht in den Keller. Auch die Ursachen liegen, wie bei den meisten Phobien, zunächst im Dunkeln, können zum Beispiel mit traumatischen Kindheitserlebnissen im Zusammenhang stehen.
In seiner Komödie „Höhenkoller“ spielt Mel Brooks einen Psychiater, der einfach nicht in der Lage ist, seine Akrophobie, also seine Angst vor Höhe, in den Griff zu kriegen. Betroffene fahren oft riesige Umwege auf dem Weg zur Arbeit, um etwa eine Brücke zu vermeiden.
Eine der schrägsten, aber tatsächlich dokumentierten Phobien ist die Arachibutyrophobie: Wer unter ihr leidet, hat panische Angst, dass ihm Erdnussbutter am Gaumen festklebt! Zum Glück gibt’s auch andere Brotaufstriche.
Jeder Dritte in Deutschland ist Aviophobiker, hat Angst vor dem Fliegen. Für international tätige Manager bedeutet das Leiden oft den beruflichen Absturz. Aber auch Familienurlaube erfahren durch die grenzenlose Panik über den Wolken eine geografische Begrenzung. Viele Fluglinien bieten Seminare an.
TV-Privatermittler „Monk“ gehört zu den prominentesten Bacillophobikern, Keimen und Bakterien geht er lieber aus dem Weg. Dass Herr Monk beruflich ständig an blutigen und verwüsteten Tatorten tätig sein muss, macht die Sache etwas komplizierter – und zumindest für den Zuschauer unterhaltsamer.
Die Frankfurter Buchmesse dürfte für sie die Hölle auf Erden sein: Bibliophobiker kriegen nicht nur beim Anblick von Krimis Gänsehaut.
Bei moderner Innenarchitektur gehen Cenophobiker die Wände hoch: Sie hassen leere Räume.
Der dumme August bringt Coulrophobiker nicht zum Lachen, sondern zum Weinen. Psychologen erklären die irrationale Furcht vor Clowns zum Beispiel damit, dass sich die Eltern nach einem Zirkusbesuch gestritten haben und das Kind beide Ereignisse fälschlicherweise in Verbindung brachte.
Tomatensalat, Ampeln, Feuerwehrmänner? Erythrophobiker sehen bei Rot rot. Viele haben auch krankhafte Angst davor, selber zu Erröten.
Gellende Schreie in der Küche? Möglicherweise ist’s ein Glucodermaphobiker, der gerade ausrastet, weil sich Haut auf seiner Milch gebildet hat. Was die wenigsten angenehm finden dürften, löst bei Betroffenen sogar Ohnmacht aus.
Eine Beziehung mit Tina Turner oder Tom Selleck ist für Hypertrichophobiker nahezu unmöglich. Sie fürchten sich vor Haaren jeder Art.
Kanadaurlaub? Zu riskant. Lutraphobiker kriegen bei Ottern die Krise.
Ob’s am gleichnamigen Horrorfilm liegt, in dem ein Geisteskranker mit einer Machete herummassakriert? Die Paraskavedekatriaphobie, die Angst vor „Freitag, dem 13.“, hat wohl noch tiefere Ursachen.
Flavio Briatore ist definitiv kein Venustraphobiker – er hat erkennbar kein Problem mit schönen Frauen.
Die Stasibasiphobien haben rein gar nichts mit der Gauck-Birthler-Behörde zu tun, sondern schlicht mit der Furcht vor dem Stehen und Laufen.
Es gibt ja wirklich fürchterliche Poesie – Methrophobiker aber bekommen zum Beispiel bei Schüttelreimen regelrechte Schüttelkrämpfe, halten Heinz Erhardt wahrscheinlich für den Leibhaftigen. Am Dienstag, dem „Face Your Fears Day“, könnte man ja versuchen, sich mit einem Schiller oder Robert Gernhardt selbst zu therapieren.
Timo Lokoschat
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