Diagnose Burn Out - "Es ging gar nichts mehr “

Panik, Depressionen, Abhängigkeit: "Ich bin ausgerastet, hatte Angst vor mir selbst. Dann hab’ ich nur noch geheult." - Ein Ex-Krankenpfleger erzählt von seinem Zusammenbruch.
von  Abendzeitung
17 Jahre Krankenpfleger, davon 15 Jahre in der Notaufnahme: Der Münchner Hans Belz (Name geändert) musste seinen Job inzwischen aufgeben.
17 Jahre Krankenpfleger, davon 15 Jahre in der Notaufnahme: Der Münchner Hans Belz (Name geändert) musste seinen Job inzwischen aufgeben. © Tina Angerer

MÜNCHEN - Panik, Depressionen, Abhängigkeit: "Ich bin ausgerastet, hatte Angst vor mir selbst. Dann hab’ ich nur noch geheult." - Ein Ex-Krankenpfleger erzählt von seinem Zusammenbruch.

Er wollte schon immer mit Menschen arbeiten. Mit 17 machte Hans Belz nach Jahren als ungelernter Arbeiter seinen Hauptschulabschluss nach, um seinen Traumberuf erlernen zu können. Krankenpfleger. „Ich wollte das unbedingt“, sagt Hans Belz. Heute, 17 Jahre später, steht der 45-Jährige vor einer bitteren Bilanz.

Der Traumberuf hat ihn fast seine Gesundheit gekostet. Er bescherte ihm Psychiatrie und Medikamentenabhängigkeit. Neudeutsch „Burnout“ genannt – und das gleich zweimal.

Menschen mit besonders hohen Idealen

Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten, leiden unter besonders hohen psychischen Druck. Rund 20 Prozent der Ärzte erleben einen Burnout, auch die Suizid-Rate ist bei Ärzten, Schwestern und Pflegern bis zu dreimal so hoch wie bei anderen. „Diese Menschen haben besonders hohe Ideale“, sagt Frank Berndt, der Menschen mit Burnout-Syndrom behandelt. „Dadurch ist der Frust groß, wenn sich die Ideale nicht umsetzen lassen.“

Hans Belz merkte schon in der Ausbildung, dass der Job anders ist, als er sich das vorgestellt hatte. Er arbeitete in einer psychiatrischen Klinik. „Wir haben keine Zeit, mit den Leuten zu reden, wie hetzen von einem zum anderen“, sagt er. „Ich bin sicher, wir könnten jede Menge Artzney sparen, wenn wir dafür mit den Menschen sprechen.“ Die Konfrontation mit dem Tod hat ihn anfangs mitgenommen. „Aber man gewöhnt sich daran, Menschen sterben zu sehen und sie danach anzufassen, sie anzuziehen“, sagt er. Bei alten Menschen fiel es ihm leichter als zum Beispiel bei dem 40-Jährigen Aids-Patienten, den er bis zum Schluss betreute.

"Ich wusste, ich muss da weg"

Doch die Arbeit mit behinderten Jugendlichen brachte den zweifachen Vater oft ins Grübeln. „Ich habe immer über die Arbeit nachgedacht, schlecht geschlafen. Ich wusste, ich muss da weg“. Nur wenige Monate nach Beendigung seiner Ausbildung kündigt er und fängt in einem „normalen“ Krankenhaus in der Notaufnahme an. Mit nur einem weiteren Kollegen betreut er 24 Patienten in den Zimmern, dazu kommen die akuten Aufnahmen. „Anfangs mussten wir auch noch jedes Bett selbst aus dem Keller holen.“

Eine Pause war meist nicht drin, oft konnte er nicht mal auf die Toilette gehen. „Wenn da ein Herzinfarktpatient liegt, gehst du nicht mal eben aufs Klo“, sagt Belz. Auch das ist für den Burnout-Experten Frank Berndt typisch. „In diesen Berufen hat man eine sehr hohe Verantwortung. Ein Schreiner kann seine Sachen mal liegen lassen - ein Pfleger hat es mit Menschen zu tun.“ Auch erlebe er oft trotz hoher Investition Misserfolge. „Ein Schreiner hat am Ende einen Tisch. In der Klinik strengt man sich an und der Patient stirbt am Ende trotzdem.“

Kein Privatleben mehr

Belz arbeitete in drei Schichten. „Wenn ich morgens um halb sieben aus dem Frühdienst kam, hab’ ich oft nur drei, vier Stunden geschlafen. Auf Dauer wird das immer schwieriger“, sagt Belz. Zwölf Jahre schob er Dienst. „Privatleben hast du irgendwann gar keines mehr“, sagt der inzwischen Geschiedene. „Ich kenne viele Beziehungen, die an diesem Job gescheitert sind.“ Immer häufiger hatte er körperliche Beschwerden: Magenschmerzen, Kopfschmerzen, Rückenschmerzen. „Ich bin von einem Arzt zum anderen gerannt, dachte ja, ich hätte was am Magen.“ In Wahrheit sind diese Symptome typische Anzeichen für das beginnende Burnout.

Irgendwann bekam Hans Belz mitten in der Schicht Panik- Attacken. „Ich erkannte mich selbst nicht wieder. Ich bin ausgerastet, hatte Angst vor mir selbst. Dann hab’ ich nur noch geheult.“ Ein Kollege bot ihm „etwas zur Beruhigung“ an. „Viele in unserem Job, Ärzte genauso wie Schwestern oder Pfleger, nehmen Artzney – Wachmacher und Beruhigungsmittel – oder sie trinken, um das durchzustehen“, erzählt Belz.

Frust wird an Patienten ausgelassen

Auch Aggressionen sind laut Belz im Krankenhaus an der Tagesordnung. „Ärzte rasten aus, machen Schwestern fertig, aber auch wir uns untereinander - immer wieder werden Frust und die Überforderung auch an den Patienten ausgelassen“, sagt Hans Belz. Er möchte nicht mit seinem richtigen Namen genannt werden – er will seinem Krankenhaus keinen Schaden zufügen. „So wie bei uns geht es überall zu.“

41 ist er, als er sich entscheidet, zum Therapeuten zu gehen. „Ich bekam ein Attest, dass ich keine Nachtdienste mehr machen muss.“ Und er machte weiter. Vier Jahre hat er danach durchgehalten. „Man denkt sich immer: Das wird schon, du musst da durch.“ Hans Belz’ Leben bestand nur aus Job und Abhängen. „Ich konnte mich zu gar nichts anderem aufraffen. Ich habe immer weniger gegessen, mich nur noch nach einem Bett gesehnt.“ Drei Bandscheibenvorfälle hatte Belz in dieser Zeit. „Man versucht immer wieder, sich fitspritzen zulassen, lässt sich mit Artzney vollpumpen.“ Auch die Depressionen und Panik- Attacken kamen zurück – schlimmer als zuvor.

„Ich habe oft an Suizid gedacht – es ging einfach nichts mehr.“ Hans Belz hat die Notbremse gezogen. Er stieg aus. Er stand einen Medikamenten- Entzug durch und ging freiwillig in eine psychiatrische Klink, diesmal als Patient. Er entschied sich, den Job zu wechseln. Heute arbeitet Belz in einem Krankenhaus an der Pforte. „Ich habe ein ganz anderes Lebensgefühl. Ich habe diese enorme Verantwortung nicht mehr“, sagt er.

Allmählich wieder ein normales Leben

Immer noch arbeitet er Schicht - aber mit ganz anderer Kraft. „Ich bin lockerer, freundlich zu den Leuten und nehme die Arbeit mental nicht mehr mit nach Hause. Allmählich lernt er, wieder „normal“ zu leben. „Ich gehe schwimmen, ich fahre Rad. Das war ja alles nicht mehr möglich gewesen.“ Er ist froh, dass er immer noch mit Menschen zu tun hat – nichts anderes wollte er ja immer. „Aber heute weiß ich: Wer selbst kaputt geht, kann anderen nicht helfen“.

Tina Angerer

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