Deutschlands Star: Eine Flasche

Sie hat einen höheren Bekanntheitsgrad als Guido Westerwelle und wird jedes Jahr fünf Milliarden Mal verkauft. Warum das gleiche Modell seit 1970 in aller Munde ist und was ihr Erfinder Günter Kupetz sagt
Die Beiläufigkeit ist ihre größte Stärke: Wie sie an Abrüstungsgesprächen, Bundesligaspielen und Abiturprüfungen teilnimmt – ohne großes Aufsehen zu erregen, unaufdringlich, schlicht und, nunja, schön vielleicht nicht gerade. Trotzdem: Deutschlands heimlicher Star ist eine Flasche! 98 Prozent der Bevölkerung kennen sie. Zum Vergleich: Minister Guido Westerwelle bringt es gerade einmal auf 95 Prozent. Darauf könnte man heute anstoßen, nicht mit Sekt, sondern mit Selters. Denn die „Brunneneinheitsflasche“, mit Mineralwasser befüllt, feiert runden Geburtstag und ist seit 40 Jahren in aller Munde.
1970 kommt sie in den Handel und gräbt in kurzer Zeit 300 konkurrierenden Gefäßen das Wasser ab. Heute gilt sie als Europas erfolgreichste Mehrwegverpackung – fünf Milliarden Exemplare werden jedes Jahr verkauft, 1,3 Milliarden sind derzeit im Umlauf.
Während zum Beispiel Bierflaschen in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder an den jeweiligen Zeit- und Designgeist angepasst wurden, blieb das 1969 entworfene Modell bei seinem Aussehen: mit der charakteristischen Einschnürung in der Mitte, die laut Hersteller, der fürsorglichen „Genossenschaft Deutscher Brunnen“, einen „sicheren Griff“ ermöglichen soll, und den darüber liegenden 230 Noppen. Auch der Inhalt wurde bewusst auf 0,7 Liter dimensioniert – bei einem Liter sei nach dem vielen Öffnen am Ende nicht mehr genug Kohlensäure übrig.
„Ich halte den Entwurf für zeitlos und würde sagen, verbessern kann man ihn eigentlich nicht“, sprudelt es bis heute selbstbewusst aus dem 85-jährigen Erfinder Günter Kupetz heraus, einem Berliner Design-Professor.
Bis zu 50 Mal wird eine „Brunneneinheitsflasche“ in ihrem Leben befüllt. Wie oft die eigene schon an der Reihe war, lässt sich mit einem kleinen Trick feststellen: Im Laufe der Zeit bilden sich durch den Kontakt mit anderen Flaschen in der Mitte matte Ringe. Je ausgeprägter sie sind, desto antiker ist das Stück!
Was den Geburtstagsdrink ein wenig schal schmecken lässt: Boomende PET-Flaschen machen den Mehrwegklassiker vielleicht bald zum Altglas. Anhänger kriegen jetzt schon einen Hals: Die schnöden Plastikmodelle seien „unkaputtbar“, aber ohne Seele. Man könnte auch sagen: ohne Flaschengeist.
Timo Lokoschat