Deutschland sucht die Superbürste

Aktuelle Modelle putzen mit Navi und mehr Umdrehungen als ein Porsche: Wie Hersteller ein Hygiene-Produkt als neues Statussymbol inszenieren
Sie massiert, oszilliert, pulsiert, stimuliert, vibriert und beschallt: nein, nicht Madonna, Dolly Buster oder die neue S-Klasse. Sondern: die Zahnbürste von Welt! Zumindest laut jenen Werbe-Strategen, denen es zurzeit vor allem um „Verben“ zu gehen scheint. Hauptsache, man muss nicht „Putzen“ sagen.
Kein Wunder, schließlich naht das Weihnachtsgeschäft. Bis dahin sollen Zahnbürsten offenbar endgültig aus dem Ghetto der Socken, Krawatten und Kochbücher befreit werden. Die Strategie: das Hygiene-Instrument zum Lifestyle-Produkt erheben.
34000 Schwingungen pro Minute
Vorbei sind daher die Zeiten, in denen biedere „Zahnarztfrauen“ oder farblose Tomatenfolterer à la „Dr. Best“ steril das Dentalprodukt anpreisen. „Putzen ist sexy“, lautet die neue, strahlende Botschaft, wenn hübsche Frauen und durchtrainierte Kerle in Anzeigen und Reklamespots vor dem Spiegel kreisende Bewegungen ausführen.
Eine Ausweitung der Putzzone, die Erschließung neuer Zielgruppen steht bevor: Galten bislang vor allem Männer als Putzmuffel, will eine neue Schaumschläger-Sprache besonders die Technikfreaks erreichen. Von „34000 Schwingungen pro Minute“ ist zum Beispiel bei der elektrischen „EW1035“ von Panasonic die Rede, von „multidirektionalen Bewegungen“ dank des „hochmodernen Linearmotors“.
Wer sich für das Auto noch kein teures Navigationssystem leisten kann, bekommt es jetzt für 170 Euro zumindest für den Mund. „Smartguide“ nennt Oral-B seine Erfindung. „Das kabellose Display navigiert Sie sicher durch den Mundraum“, heißt es in einem PR-Text. Vielleicht ein bisschen vollmundig: In Wirklichkeit wird nur angezeigt, wie lange die „Premiumbürste“ schon zwischen den Kauleisten steckt, ob der Druck stimmt und alle vier „Kieferquadranten“ 30 Sekunden lang geschrubbt wurden.
Auf philips.com läuft sogar ein Video, in dem eine Bürste durch ein Wasserglas rast – so wie sonst nur ein Audi durch eine Pfütze in der Fernsehwerbung. Wahrscheinlich ist es bloß eine Frage der Zeit, bis ein „Zahnbürsten-Quartett“ auf den Markt kommt, bei dem man sich dann die Umdrehungen seiner Zahnbürste um die Ohren haut. Bis zu 40000 schafft manches Modell. Der Porsche 911 GT2 lediglich 6500.
Plaque-Professorin warnt vor Schaumschlägerei
Ein Rüstungswettlauf, den Dr. Ursula Platzer mit Humor nimmt. Sie ist Direktorin der Poliklinik für Zahnerhaltung und Präventive Zahnheilkunde am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, beschäftigt sich von Berufs wegen mit der Frage der Bürste. „Diese hochtechnisierten Modelle fördern den Spieltrieb und die Freude am Putzen“, sagt die Professorin der AZ, und das sei gut. Aber sind sie auch besser? „Nein. Mit einer normalen Handzahnbürste lässt sich problemlos das gleiche Ergebnis erzielen“, berichtet Platzer von Studien mit Studenten und „Putzrobotern“.
„Die Technik nimmt einem nicht die Methodik ab.“ Es bestehe sogar die Gefahr, dass man nachlässiger sei – im Glauben, die Superbürste übernehme die Arbeit. Die Wissenschaftlerin warnt zudem vor „Putzschäden“: „Im Stillstand fühlt sich der Borstenkopf gar nicht mal so hart an, rotiert er jedoch, wird er knüppelhart.“ Festes Schrubben sei vielleicht für den Badezimmerfußboden ein probates Mittel, nicht aber für die Zähne und das Zahnfleisch.
Auch Modelle, die per Schall die Plaque lösen, sind Platzer zufolge keine Wunderwaffen. „Es gibt keine Zahnbürste, die die bakterienanfälligen Zwischenräume erfolgreich reinigen kann“, sagt die Expertin. Die Lösung: „Interdentalbürsten“, die mit Kosten von nur wenigen Cent pro Tag vergleichsweise billig sind. Sparen könne man sich dafür eher andere Dinge: „Bewegliche Bürstenköpfe, gekreuzte Borsten, blinkende Displays und Pieps-Geräusche.“
Timo Lokoschat