Deutschland hat ein Alkoholproblem

Ernüchterndes zum Welt-Drogentag. 14551 Menschen, vier mal mehr als im Straßenverkehr, sterben an Missbrauch von Alkohol. Jeder Zehnte ist ein Problemfall.
Sandra Trauner |
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Ernüchterndes zum Welt-Drogentag. 14551 Menschen, vier mal mehr als im Straßenverkehr, sterben an Missbrauch von Bier, Wein oder Hochprozentigem. Jeder Zehnte ist ein Problemfall.

München - Die Deutschen trinken doppelt so viel Alkohol wie andere Nationen, und sie zahlen dafür einen hohen Preis: Etwa 15 000 Menschen sterben jährlich daran. Experten meinen: Es würde gar nicht so viel Mühe kosten, den Konsum zu reduzieren.

Alkohol fordert in Deutschland fast viermal so viele Opfer wie der Straßenverkehr. 2012 starben hierzulande 14551 Menschen an den Folgen übermäßigen Alkoholkonsums. Das hat das Statistische Bundesamt zum Internationalen Weltdrogentages am Donnerstag ausgerechnet. Bei Verkehrsunfällen kamen im selben Jahr 3827 Menschen zu Tode, wie die Statistiker am Dienstag mitteilten.

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Die Zahl der Alkoholtoten aus der Todesursachenstatistik herauszufinden ist gar nicht so leicht. Die Wiesbadener mussten sich für ihre „Zahl der Woche“ Rat bei einem Expertengremium holen. Das listet mehr als zwei Dutzend alkoholbedingte Todesursachen auf – von Alkoholgastritis bis Zirrhose.

Leberschädigungen sind mit 7812 Fällen die häufigste Todesursache bei Alkoholikern. Am zweithäufigsten ist die Bauchspeicheldrüse betroffen. Aber auch Herzmuskel, Lunge oder Nervensystem können so stark geschädigt werden, bis sie versagen. Bei knapp 4000 Toten wird schlicht und einfach „Abhängigkeitssyndrom“ als Ursache genannt – eine Diagnoseziffer, in der unspezifisch alle möglichen Alkohol-Folgeschäden verschlüsselt werden, bis hin zum Suizid.

In der Statistik der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) sind „Psychische Störungen durch Alkohol“ die zweithäufigste Krankenhaus-Diagnose. Im Jahr 2011 wurde sie bei 7773 KKH-Patienten gestellt, „Lediglich Geburten wurden häufiger abgerechnet“, heißt es in einer Mitteilung.

Die Deutsche Hauptstelle für Suchtfragen (DHS) glaubt, dass die Zahl der Alkohol-Toten in Wahrheit weit höher liegt. Das Statistische Bundesamt zählt nur jene Todesfälle, bei denen der Arzt einen Zusammenhang mit Alkohol erkennt und auf dem Totenschein notiert hat.

Eine Studie der Universität Greifswald wählte 2002 einen weiteren Blickwinkel und kam auf fast 80 000 Alkoholtote pro Jahr. Egal ob knapp 15000 oder 80 000: „Trinker und Raucher – das sind die Drogentoten in Deutschland. Danach kommt lange nichts“, sagt Raphael Gaßmann, Geschäftsführer der DHS „Deutschland ist ein führendes Land beim Alkohol-Konsum und daher auch eine Alkohol-Problem-Nation.“ Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) wird in Deutschland viel mehr getrunken als in anderen Ländern. Jeder Deutsche im Alter von über 15 Jahren konsumiert im Schnitt 11,8 Liter reinen Alkohol im Jahr, das entspricht rund 500 Flaschen Bier. Weltweit liegt der Alkoholkonsum mit 6,2 Litern an reinem Alkohol noch nicht einmal halb so hoch. Auch in Europa wird weniger getrunken: 10,9 Liter reiner Alkohol pro Jahr.

Hauptursache ist für den Sucht-Experten Gaßmann der niedrige Preis: Deutschland sei eines der wenigen Länder, wo man sich für den Gegenwert eines Taschengeldes tottrinken könne. Auch drei weitere Punkte machen es seiner Ansicht nach den Süchtigen leicht: Alkohol sei an Kiosken und Tankstellen rund um die Uhr verfügbar. Hersteller dürften für Alkohol werben. Und der Jugendschutz stehe oft nur auf dem Papier.

An allen vier Stellschrauben könnte man drehen, wollte man erreichen, dass weniger Menschen an Alkohol sterben, glaubt Gaßmann: Steuern erhöhen, Werbung verbieten, kein Verkauf nachts und kein Alkohol für Jugendliche. „Ich bin sicher, wenn wir den gleichen Weg gingen wie beim Tabak, hätten wir bald weniger Alkoholtote.“

Das würde vor allem Männer das Leben retten: Männer trinken laut WHO mehr als doppelt so viel wie Frauen – von den gut 14 500 Alkohol-Toten des Jahres 2012 waren laut Statistischem Bundesamt knapp 11 000 männlich.

Sorgen bereitet der Hauptstelle für Suchtfragen ein neues „Konsummuster“, vor allem bei Jugendlichen: unter der Woche kaum Alkohol, aber am Wochenende „Komasaufen“ als Freizeitspaß. Laut WHO macht Bier in Deutschland mehr als die Hälfte des Konsums aus, gefolgt von Wein (28 Prozent) und harten Getränken (18 Prozent).

Laut Epidemiologischem Suchtsurvey haben 7,4 Millionen Erwachsene in Deutschland Alkoholprobleme: Das ist fast jeder Zehnte. 4,02 Millionen haben einen riskanten Alkoholkonsum, für weitere 1,61 Millionen gilt Alkoholmissbrauch, 1,77 Millionen sind alkoholabhängig.

Die gute Nachricht: Konsum und Todesfälle sind leicht rückläufig. Laut WHO lag der Pro-Kopf-Verbrauch von Alkohol in Deutschland vor zehn Jahren rund einen Liter höher. Und auch die Zeitreihe beim Statistischen Bundesamt zeigt, dass heute etwas weniger Menschen an alkoholbedingten Krankheiten sterben als vor zehn Jahren, wo es noch zwischen 16000 und 17000 Alkoholtote pro Jahr gab. Die WHO geht davon aus, dass der Pro-Kopf-Konsum in Deutschland zukünftig sinkt.

 

 

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