Der Umtausch-Bestseller
„Feuchtgebiete“ ist das meistgekaufte Buch derzeit. Und das am meisten zurückgebrachte. Die Gründe der Kunden seien aber immer gleich: zu eklig, zu schmutzig, zu pornografisch, kurz: nicht lesbar.
Grell in pink leuchtet Charlotte Roches Erstlingswerk dem Besucher am Eingang vom Hugendubel am Marienplatz entgegen. Eine Wand voll Bücher. Der Roman thront ganz oben im Regal, man kommt nicht an ihm vorbei. „Feuchtgebiete“ ist seit Monaten auf Platz eins. In der Bestseller-Liste – und in der Liste der meist zurückgebrachten Bücher. Selbst, wenn das bei Buchhändlern nicht gern offiziell bestätigt wird.
„Zu uns kommen oft Kunden, die das Buch zurückbringen“, sagt eine Verkäuferin bei Hugendubel, „und zwar viel mehr als sonst üblich." Zahlen kann die junge Frau zwar keine nennen, die Gründe der Kunden seien aber immer gleich: zu eklig, zu schmutzig, zu pornografisch, kurz: nicht lesbar.
Diese Erfahrung hat auch Michael Lemling, Geschäftsführer der Buchhandlung Lehmkuhl gemacht. „Ich sehe häufig Menschen an der Kasse, bei denen ich mir denke, dass sie eine falsche Vorstellung von dem Buch haben, und deshalb enttäuscht werden.“ Roches Ekel-Roman beschreibe eben „weibliche Sexualität jenseits von oberflächlicher, pornografischer Lust“. Lemling selbst hat Roches Bestseller auch gekauft – und auch aufgehört es zu lesen. Zu eklig? Nein, nein, beteuert Lemling, er habe das Lesen aufgehört, weil er den Roman schlicht für nicht spannend genug erzählt hält. „Nach 20, 30 Seiten habe ich gewusst, um was es geht, und, ganz ehrlich, das ist nicht mein Thema“, sagt der Buchhändler.
Feuchtgebiete polarisiert
Roches Roman, ein Sturm im Wasserglas? Naja. Mögen sich Aufgeklärte auch gelangweilt ob der schmierigen Sexualität geben, mögen Feuilletonisten angeödet ob der allzu simplen Wortwahl der Roche sein – Fakt ist eben auch, dass kaum ein Buch so polarisiert, so zum Widerspruch einlädt, so dermaßen tief in der öffentlichen Diskussion verwurzelt ist wie eben dieses kleine, schmutzige 219-Seiten-Werk.
Und damit hat Charlotte Roche etwas geschafft, was sonst meist nur den Großen des Metiers vorbehalten ist: Bücher zu schreiben, die verboten und verrissen wurden, die umgeschrieben werden mussten, oder auf dem Index landeten – kurz: Bücher zu veröffentlichen, die zum Gespräch wurden.
Charlotte in einem erlauchten Club
Martin Walser gehört dazu, der sich mit seinem 2002 publizierten Werk „Tod eines Kritikers“ dem Antisemitismusverdacht ausgesetzt sah, Maxim Biller auch, dessen autobiografisch gefärbter Roman „Esra“ verboten wurde, weil er allzu intime Details von Billers damaliger Freundin enthält, dann Michel Houellebequ, der mit seinem Roman „Elementarteilchen“ 1998 nicht bloß die Feuilletons aufschreckte – und natürlich Bret Easton Ellis.
Als der Amerikaner 1991 seinen Roman „American Psycho“ veröffentlicht, erhält der Autor Morddrohungen, wird das Buch in Deutschland indiziert – und, seitdem es zu kaufen ist, ähnlich oft angeekelt dem Buchhändler zurückgebracht. Auf über 500 Seiten erzählt Ellis die Geschichte des Wall Street Yuppies Patrick Bateman, eines gut aussehenden, intelligenten, reichen Mannes, der nachts zum Serienkiller wird. Ein Buch voller Gewalt und Sexualität, eine perfekte Horrorfabel auf die oberflächlichen, hedonistischen, ich-versessenen 90er Jahre.
Ob man über Charlotte Roches Ausflüge in Körperöffnungen einmal ähnliches schreiben wird, bleibt abzuwarten. Wohl aber eher nicht.
Jan Chaberny/Elisabeth Weidling