Der Tag als die Todeswelle kam: Fünf Jahre nach dem Tsunami

Er kam urplötzlich, zerstörte das Paradies, machte die Idylle zur Hölle. 230.000 Tote, hunderttausende Verletzte, Millionen Obdachlose, - Der Tsunami vor fünf Jahren erschütterte als eine der größten Naturkatastrophen aller Zeiten die Welt.
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Vom Tsunami zerstörtes Urlaubs-Ressort in Thailand
dpa 2 Vom Tsunami zerstörtes Urlaubs-Ressort in Thailand
Fünf Jahre danach: die Erinnerung an die Opfer
dpa 2 Fünf Jahre danach: die Erinnerung an die Opfer

JAKARTA - Er kam urplötzlich, zerstörte das Paradies, machte die Idylle zur Hölle. 230.000 Tote, hunderttausende Verletzte, Millionen Obdachlose, - Der Tsunami vor fünf Jahren erschütterte als eine der größten Naturkatastrophen aller Zeiten die Welt.

Nichts hat vor fünf Jahren, am Morgen des 26. Dezember 2004, auf die nahende Katastrophe hingedeutet: In der indonesischen Provinz Aceh fahren die Fischer im Morgengrauen wie jeden Tag aufs Meer, an den Stränden von Khao Lak in Thailand schlendern die Touristen vom Frühstücksbüfett an den Strand. In Sri Lanka und an der indischen Ostküste schlafen die meisten Menschen noch, als tausende Kilometer östlich die Erde bebt.

Um 7.58 Uhr Ortszeit (1.58 Uhr MEZ) nimmt das Desaster nördlich von Aceh tief unter dem Meeresboden seinen Lauf: Eines der schwersten je registrierten Erdbeben lässt dort tektonische Platten aufeinander krachen, die metertiefe Verwerfung versetzt das Meer in Wallung. Im tiefen Wasser verbreitet es sich mit der Geschwindigkeit eines Düsenjets, in Strandnähe türmen sich Wellen bis 30 Meter hoch auf. Nach 17 Minuten rauschen die Wassermassen mit zerstörerischer Kraft über Acehs Provinzhauptstadt Banda Aceh hinweg.

Tsunami-Wellen über tausende Kilometer

Eine Stunde und 40 Minuten später verschwindet plötzlich das Wasser vor Khao Lak. Viele Touristen kommen noch neugierig an den Strand, um das Naturspektakel anzuschauen. Stunden später zieht sich auch in Sri Lanka das Meer zur Verblüffung der Urlauber auf einmal zurück. Doch die Wassermassen kehren mit brutaler Kraft zurück, türmen sich zu meterhohen Wellen auf und rasen über die Strände. Menschen, Hütten, Hotels, Autos, Bäume – sie reißen alles mit, was ihnen im Weg steht.

Die Tsunami-Wellen, die später als eine der größten Naturkatastrophe in die Geschichte eingehen, rasen tausende Kilometer durch den Indischen Ozean und treffen auch die Küsten von Malaysia, Birma, Indien, Madagaskar und Ostafrika. Die unvorstellbare Bilanz: 230.000 Tote, hunderttausende Verletzte, Millionen Obdachlose.

"Das ist das Ende der Zivilisation"

Überall beginnt die verzweifelte Suche nach Überlebenden. Die mehr als 40 Fischer aus dem Dorf Meuraxa in Aceh haben auf dem Meer nichts mitbekommen. Als sie nach Hause kommen, sind sämtliche Hütten samt Frauen und Kindern fortgerissen. „Alles weg“, sagt Fischer Hasdi. Nur der kleine Taufik (3) überlebte wie durch ein Wunder. „Wir dachten, das ist das Ende der Zivilisation, die ganze Welt ist zerstört“, sagt Nothelfer Juanda in der Küstenstadt Calang, ein paar Autostunden südlich von Banda Aceh. Er folgt seinem Instinkt und rennt auf eine Anhöhe. 80 Prozent der Einwohner, mehrere tausend Menschen, kommen um. 170 000 Menschen sterben in Aceh.

Franky Gun, Goldschmied aus Witten, lebt seit Anfang der 90er Jahre bei Khao Lak. Seine Eltern sind über Weihnachten zu Besuch. Die Killer-Welle schleudert ihn aus seinem Bungalow am Strand und reißt ihn „wie eine Klospülung“ unter Wasser. Er taucht 900 Meter weiter auf und klammert sich an einen Baum. Seine Eltern hat er nie wieder gesehen. In den Tagen danach suchen Touristen verzweifelt nach Angehörigen. Der auf Phuket lebende pensionierte Schweizer Hotelier Lothar Schudt hilft, Leichen zu bergen, die an die Strände gespült werden. Klaus Orlik, der seit Jahrzehnten eine Tauchschule auf Phuket betreibt, ist einer der ersten, der die Ferieninsel Phi-Phi erreicht. Hunderte Leichen treiben im Wasser. „Ich dachte, ich wäre abgebrüht, aber was ich da sah, hat alle Kategorien des Grauens gesprengt“, sagt er. 5400 Menschen sterben in Thailand, die Hälfte von ihnen Touristen.

Nach der Welle die Hilfswelle

Auf Sri Lanka erfassen die Killer-Wellen Stunden später den Expresszug von Vavuniya nach Matara. Sie fegen ihn wie eine Spielzeug-Eisenbahn von den Gleisen, die an der malerischen Küste entlangführen. Der Juwelier Azmi Naym gehört zu den Überlebenden: „Unser Waggon wurde wie eine Streichholzschachtel umgeworfen.“ Mehr als 1300 Passagiere sterben. Noch Tage nach dem Unglück liegen Leichen unter den umgekippten Waggons, unter einem lugt eine Hand heraus, die in der Tropenhitze verwest. Etwa 40 000 Menschen sterben auf Sri Lanka, mehr als 12 000 Menschen in Indien.

Eine beispiellose Hilfswelle rollt weltweit an. Internationale Organisationen und Regierungen springen ein, aber auch einzelne Menschen: Allein die Rotkreuz- und Rothalbmondgesellschaften sammelten eine Milliarde Dollar, das Deutsche Rote Kreuz 112 Millionen Euro. Neben dem Wiederaufbau fließt auch jede Menge Geld in ein Tsunami-Warnsystem mit hunderten Messstationen auf dem Land und mit Bojen im Meer sowie Warnanlagen mit Lautsprechern in Küstennähe. In Aceh bekommen die tief liegenden Dörfer ein großes zweistöckiges Versammlungshaus aus Beton, das jeder Welle trotzen würde. In den Küstenorten werden Sanitäter ausgebildet, und die Bevölkerung probt regelmäßig, was beim nächsten Desaster zu tun ist.

Tsunami-Opfer als Kriegsflüchtlinge

In Aceh bringt das Desaster nach jahrzehntelangem Bürgerkrieg den Frieden. Regierung und Separatisten einigen sich auf eine Autonomie der Provinz. Aus Kanonenkugeln machen die Menschen heute Angelhaken, aus Tsunami-Trümmern Möbel für Schulklassen. Sri Lanka bringt die Katastrophe dagegen keinen Frieden. Nach einer Phase des Schocks eskaliert der Konflikt zwischen der Regierung und den Tamilen- Rebellen der LTTE wieder, Orte wie Mullaittivu im Nordosten, die vom Tsunami verwüstet wurden, werden mit Artillerie beschossen und blutig umkämpft. Erst im Mai 2009 endet der Bürgerkrieg mit der Niederlage der LTTE. Etliche Tsunami-Opfer finden sich als Kriegsflüchtlinge in Internierungslagern wieder. Manche von ihnen sind heute noch nicht wieder in ihren Heimatorten, in denen der Tsunami ihnen vor fünf Jahren alles raubte, was sie besaßen.

Christiane Oelrich und Can Merey, dpa

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